Spielanalysen

Wer sich im Schach verbessern will, muss seine Spiele analysieren. Dank Computertechnik ist dies so einfach wie noch nie. Viele Programme und Internetplattformen bieten hierfür tolle Möglichkeiten, aber leider nicht alle. Wenn Sie sich für eine Plattform oder eine Software entscheiden, sollte die Analysemöglichkeiten auf jeden Fall ein Faktor für diese Entscheidung sein. Wenn es keine Analysemöglichkeiten gibt, sollten Sie die Partien zumindest in das allgemein gültige PGN-Format exportieren können. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, das Spiel zu archivieren und in entsprechende Programme zu importieren.

Computeranalysen unterscheiden oft zwischen Ungenauigkeiten, Fehlern und Patzern. Ungenauigkeiten sind Züge, die Ihre Position nur leicht verschlechtern. Dabei kann es sich auch um ein umständlicheres Matt handeln, wenn Sie etwa in vier statt in drei Zügen Matt setzen. Fehler hingegen können durchaus Spielentscheidend sein oder zumindest einen Vorteil deutlich reduzieren. Um beim Beispiel zu bleiben: Wenn Sie in vier Zügen ein Matt erzielen könnten, aber einen Zug machen, der das sichere Matt zunichte macht, ist es mindestens ein Fehler.

Patzer sind die Züge, die man mit zwei Fragezeichen markiert. Hier verlieren sie mindestens eine Leichtfigur. Patzer sind immer spielentscheidend. Manche Programme differenzieren aber. Der Verlust einer Dame ist nicht immer ein Patzer. Wenn Sie auf jeden Fall noch gewinnen können, kann der Verlust einer Schwerfigur auch als Ungenauigkeit klassifiziert werden.

Wenn Sie Ihre Spiele analysieren, sollten Sie vor allem auf die Patzer achten. An zweiter Stelle stehen die Fehler. Die Ungenauigkeiten sind, wenn Sie etwas fortgeschrittener sind, vor allem in der Eröffnung interessant, da diese Stellungen mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederkommen. Wirklich intensiv befassen sollten Sie sich damit frühestens ab 1600, eher sogar ab 1800 Wertungspunkten. Bis dahin sind Sie in der Regel mit Fehlern und Patzern genug beschäftigt.

lichess zeigt nach der Analyse eine kleine Auswertung an und lädt ein, aus seinen Fehlern zu lernen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der im vorigen Kapitel erwähnte Wert »durchschnittlicher Verlust von 1/100 Bauer pro Zug« (Zentibauer-Verlust bzw. Centipawn). Leider wird dieser Wert nicht sehr oft angegeben, kann aber extrem hilfreich sein und Ihnen helfen, die Anzahl der Fehler und Patzer besser einzuordnen.

Beim Umgang mit Analysen ist viel Vorsicht geboten. Wenn man seine Partien unter die Lupe nimmt, kann man durchaus depressiv werden. Je nach Tagesform, Gegner und Spielmodus kann es in einer Partie zu zahlreichen Fehlern und Patzern kommen. In den meisten Fällen werden es mehr, je weniger Zeit Sie haben. Nehmen Sie sich die Auswertung nicht zu sehr zu Herzen. Viele Fehler muss man unter dem Gesichtspunkt: Hätte ich 5 Minuten überlegt, wäre das nicht passiert abbuchen. In manchen Stellungen zeigt der Computer auch Züge als Fehler an, die durchaus gut spielbar sind und eine Stellung vereinfachen, so das man einen Vorteil, falls man ihn hat, auch souverän zu einem Sieg führen kann. Gewisse Kombinationen sind ohnehin so komplex, dass sie sich nur Schachmeistern erschließen, vor allem im Schnellschach.

Es ist sehr hilfreich, mehrere Partien über einen definierten Zeitraum hinweg auszuwerten. Wenn Sie beispielsweise monatlich ihre Fehler und Patzer analysieren, sollten Sie diese in die drei Phasen des Spiels unterteilen. Je nachdem, in welcher Phase Sie die meisten Probleme sehen, sollten Sie dies im Training verstärken. Über eine lange Zeit habe ich mich auf die Eröffnung konzentriert, bis ich hier kaum noch Fehler aufwies. Dann zeigte sich ein hoher Anteil der Fehler im Endspiel und der Fokus meines Trainings verlagerte sich darauf. Das konsequente analysieren der Partien und trainieren der Schwächen erfordert Zeit und Disziplin, ist aber sehr effektiv und schult das Spielverständnis ungemein.

Am wichtigsten ist zu wissen, dass jeder Mensch Fehler und sogar Patzer macht, vor allem unter Zeitdruck. Selbst Stockfish, derzeit so ziemlich die stärkste Engine der Welt, macht in Zeitnot spielentscheidende Fehler. Dieses Wissen sollte Trost spenden, wenn eine Ihrer Spielanalysen katastrophal ausfällt. Mir zumindest hilft es ganz gut.

Außerdem: Fehler sind nicht gleich Fehler. Es gibt Fehler, die ihre Position gravierend verschlechtern, es gibt aber auch Fehler, die ihre Position nicht verbessern. Wenn Sie eine Leichtfigur verlieren, verschlechtert dies Ihre Position. Wenn Sie einen Vorteil nicht nutzen, verbessert sich Ihre Position nicht. Das ist ein extrem wichtiger Punkt bei der Auswertung, den ich am Anfang meiner eigenen Analysen zu wenig berücksichtigt habe. Ich habe stur jeden Fehler und Patzer notiert. Am Ende hatte ich eine verwirrende Statistik: Ich habe viele Spiele gewonnen, aber meine Fehlerquote war grausam. Der Grund ist einfach: Ich nutzte bei weitem nicht jeden Fehler meiner Gegner aus und die Computeranalyse lastete mir dies als Fehler oder gar Patzer an. Vor allem in Stellungen, in denen ich klar auf Gewinn stehe, nutze ich nicht alles aus, was mir der Gegner bietet. Ich habe ein klares Ziel vor Augen wie ich schnell gewinnen kann, strebe nach Vereinfachung und lasse so vieles liegen, was der Gegner anbietet. Zum Sieg reicht es im Blitzschach dennoch.

Spielverlauf auf lichess. Auf einen Blick zu sehen: Weiß hat im 8. Zug einen Patzer gemacht.

Das bedeutet: Wenn Sie Computeranalysen anschauen, erhalten Sie oft ein Diagramm. In der Kurve sehen Sie, wie die Position beim jeweiligen Zug bewertet wird. Steht es klar zu Ihren Gunsten und der Computer moniert hier einen Fehler, dann nehmen Sie ihn am besten nicht mit in die Statistik auf. Es war nicht spielentscheidend und wäre es auch theoretisch nicht geworden. Konzentrieren Sie sich auf die Dinge, die das Spiel entschieden haben oder es theoretisch hätten können. Letzteres entsteht, wenn Sie einen Fehler oder Patzer begehen, den Ihr Gegner nicht ausgenutzt hat. Sollte sich ihre Fehlerquote langsam gegen Null bewegen, können Sie die zusätzlichen Fehler mit aufnehmen. Unter dem Strich schlafen Sie dadurch wesentlich besser.

Der durchschnittlicher Verlust von 1/100 Bauer pro Zug sagt wunderbar aus, wie gut ihre Spielqualität war. Diese Zahl, die bei 0 (absolut perfekt) beginnt und theoretisch nach Oben keine Grenzen hat, ist unabhängig von ihrem Gegner. Sie können auch ein Spiel mit zahlreichen Fehlern und Patzern gewinnen, aber diese Zahl sagt ihnen klar, wie gut ihr Spiel war, mehr oder weniger unabhängig von der Spiellänge. Wenn eine Partie über 20 Züge geht, hat man im Durchschnitt weniger Fehler als bei einer Partie über 80 Züge. Wenn Sie vorher als Ziel ausgeben, dass Sie, beispielsweise, pro Spiel nur zwei Fehler und einen Patzer machen dürfen, dann kann eine sehr lange, sehr komplizierte Partie ihre Statistik ruinieren. Der durchschnittliche Verlust pro Zug kompensiert dies und ist in den meisten Fällen aussagekräftiger.

Für ihre Auswertung bedeutet dies: Wenn Sie Fehler und Patzer, wie oben beschrieben, erfassen, dann ordnen Sie diese den Spielphasen zu. Anhand dieser Zahlen erkennen Sie relativ schnell, was Sie trainieren müssen. Für die allgemeine Qualität ihres Spiels sollten Sie den durchschnittlichen Verlust nehmen. Als Orientierungswert kann ich Ihnen meine eigenen Zahlen an die Hand geben. Alles unter 30 ist für mich gut, wenn es auf die 20 zugeht, ist es schon recht hervorragend für einen Amateurspieler. Zwischen 40 und 50 ist es okay, aber solche Spiele kann man gegen bessere Spieler durchaus verlieren. Wenn man bei einem Wert über 70 noch gewinnt, ist das eher ein Zeichen dafür, dass der Gegner zu schwach war. Gleiches gilt für Werte von 20 oder kleiner. Oft sind das Partien, die relativ schnell endeten, was kein Qualitätsmerkmal des Gegners darstellt.

Bei allen Statistiken muss man aber auch bedenken, dass sich Schach kaum mit drei oder vier Zahlen fassen lässt. Die angesprochenen Zahlen dienen der Orientierung, es gibt allerdings auch Ausnahmen. In meiner persönlichen Datenbank fand ich eine interessante Partie, die dies unterstreicht. Ich setzte meinen Gegner nach 34 Zügen mit Schwarz Matt. Die Analyse weist 9 Ungenauigkeiten auf, vor allem am Ende, als ich in einer komplexen Stellung unter Zeitdruck das schnellste Matt nicht fand. Der durchschnittliche Verlust meines Spiels betrug 7/100 Bauerneinheiten, mein Spiel war also nahezu perfekt. Mein Gegner kam auf 8 Ungenauigkeiten, 2 Fehler und einen Patzer, was für eine Blitzpartie nicht ungewöhnlich ist. Seine Quote lag bei 37/100, was meiner Meinung nach kein schlechter Wert im Blitzschach ist. Zur Orientierung: Bei einer Partie zwischen Bobby Fischer und Larsen Bent hatte Fischer eine Quote von 11/100, Bent 20/100 in einer Langzeitpartie. Bent hatte zu dieser Zeit einen Elo von 2660 Punkten. Warum mein Gegner mit einer Quote von 37/100 verlor, lässt sich auf zwei Punkte reduzieren. Ich hatte einen ausgezeichneten Tag und er schaffte es nie, mich unter Druck zu setzen. Er vergeigte das Spiel bereits in der Eröffnung und so war mein Sieg nur eine Frage der Zeit. Ähnliches passierte mir auch schon oft, beispielsweise gegen einen Spieler mit knapp 2500 Elo. Da schmiss ich die Partie bereits im siebten Zug weg, hielt mich aber noch bis zum 38. Zug am Brett. Allerdings war meine Quote mit 88/100 unterirdisch, aber seine mit 61/100 war auch nicht gerade berauschend.

Sehen Sie die Analysen und Statistiken als ein Hilfsmittel an und nicht als ein Werkzeug zur Selbstgeißelung. Eine, oder sogar mehrere schlechte Partien an einem Tag sagen höchstens aus, dass Sie einen schlechten Tag haben. Wertvolle Erkenntnisse erhalten sie erst über Wochen und Monate.