Warum Schach spielen?

Im Vorwort habe ich bereits Gründe genannt, warum mir Schach als Kind viel Spaß machte. Doch bis heute, im etwas fortgeschritteneren Alter, fand ich noch viele weitere Motivationen. Natürlich gibt es heutzutage, vor allem an Computern, Konsolen, Smartphones und anderen Geräten, zahllose Spiele die sicher ebenso Spaß machen können, aber Schach ist eines der ältesten Brettspiele die wir kennen und begeistert noch immer Menschen auf der ganzen Welt. Das heißt, im Gegensatz zu vielen anderen Spielen ist es ein sehr langlebiges Vergnügen.

Es ist auf den ersten Blick nicht naheliegend, sich in seiner Freizeit mit dem königlichen Spiel zu befassen. Die meisten Menschen finden es anstrengend, dabei kennen sie weder die Regeln, noch irgendwelche Schachspieler. Schach ist aber nur selten anstrengend, in den meisten Fällen ist Schach sogar entspannend, aufregend, atemraubend, hinreißend und bezaubernd zugleich. Nur selten begegnet man einem Spiel, bei dem von Außen so wenig von dem zu erkennen ist, was Innen, also im Kopf der Spieler, vorgeht.

Vor allem in der heutigen Zeit ist es so einfach wie noch nie, Schach zu erlernen und zu spielen. Dank Computer brauchen Sie nicht jederzeit andere Menschen um zu Spielen. Auf dem Laptop oder Smartphone kann man dem Vergnügen auch nachgehen, wenn man alleine, vielleicht sogar unterwegs ist und keine Internetverbindung hat. Wenn Sie eine Verbindung haben, findet sich in den Weiten des Internets auf zahlreichen Plattformen immer ein Spieler in etwa Ihrer Spielstärke. Sie müssen in den meisten Fällen nicht einmal ein Programm installieren sondern können bequem über den Browser spielen.

Neben diesen Annehmlichkeiten kommt hinzu, dass Schach ein sehr günstiges Hobby ist. Natürlich können Sie auch hier viel Geld ausgeben, etwa für Programme, Datenbanken, Lehrvideos, Bücher oder gar exotische Bretter, Figuren und Schachuhren. Doch selbst wenn sie nichts ausgeben möchten, können sie dieses Hobby exzessiv ausleben und Spaß daran haben. Sowohl der Spaß, als auch das Können sind nicht vom Geldbeutel abhängig.

Schach schult den Geist wie kaum ein anderes Spiel. Sie trainieren damit logisches, strategisches und taktisches Denken, aber auch allgemein Ihr Gedächtnis und besonders die Fähigkeit, Muster zu erkennen. Fast alle besseren Schachspieler sind so gut geworden, weil sie durch Training und Spielpraxis sehr schnell gewisse Muster auf dem Brett erkennen. Diese Fähigkeit lässt sich in vielen Bereichen des Lebens einsetzen.

Das Spiel kommt ursprünglich aus Indien und stammt vom Spiel Chaturanga ab. Über Persien verbreitete es sich in Nordafrika und dann über Spanien in Europa. Heute wird das Spiel fast auf der ganzen Welt gespielt, unabhängig von Alter, Religion, sozialer Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit. Es verbindet Kulturen und Völker miteinander, auch wenn es beispielsweise im kalten Krieg zwischen der damaligen UdSSR und den USA instrumentalisiert wurde. Es ist beeindruckend zu sehen, wie das Spiel Grenzen überwindet und Menschen miteinander vereint, auch wenn man im Schach von »Gegner« spricht. Ein gutes Beispiel ist hier der WM-Kampf 1972 zwischen Robert James »Bobby« Fischer (USA) und Boris Wassiljewitsch Spasski (UdSSR). Obwohl sich die Systeme Kapitalismus und Kommunismus bekämpften und das Spiel von beiden Mächten als Bühne ihrer Differenzen missbrauchten, wurden die beiden Kontrahenten lebenslange Freunde.

Das Schachspiel ist ein Spiel, bei dem Glück keine Rolle spielt. Es gibt keinen Würfel, es gibt keinen Münzwurf und keine Karten, die zufällig verteilt werden. Über den Ausgang des Spiels entscheidet nur das jeweilige Können, in Verbindung mit der Tagesform. Wer sich also beim Kartenspiel Mal wieder darüber ärgert, dass er kein Glück hat, sollte es auf jeden Fall mit Schach versuchen.

Man könnte meinen, dass bei immer gleicher Aufstellung und begrenzter Möglichkeit der wenigen Figuren das Spiel irgendwann langweilig wird. Abgesehen davon, dass es nahezu unendlich viele Kombinationen gibt, die ein Mensch niemals wird auswendig lernen können, gibt es auch sehr viele Varianten des Schachs, auf die ich später genauer eingehen werde. Es ist bereits ein sehr großer Unterschied, ob Sie eine Uhr verwenden oder nicht und wenn Sie eine verwenden, auf welche Zeiten sie eingestellt wird. Aber auch Abseits der Zeitmessung gibt es mit Schach 960, King of the Hill, Three-Check und zahlreiche andere Varianten. Es gibt Schachspiele, die man mit drei oder gar vier Personen spielen kann. Das aus der Serie Star Trek bekannte 3D-Schach, Tandemschach und Varianten, bei denen Teams an einem Brett gegeneinander spielen. Von Langeweile kann hier also keine Rede sein.

Wenn man sich ein wenig mit dem Spiel befasst, wird schnell klar, dass es eine eigene, riesige und sehr abwechslungsreiche Welt ist. Doch selbst wenn man den Fokus nur auf das Brett mit seinen vierundsechzig Feldern und zweiunddreißig Figuren legt, ergeben sich zahlreiche Freuden. Zum Beispiel ist das Gefühl, wenn man aus einer scheinbar aussichtslosen Situation entkommt, unbeschreiblich! Stellen Sie sich das vor: Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und es sieht so aus, als würde Sie Ihr Gegner in wenigen Zügen besiegen. Doch dann sehen Sie eine Möglichkeit, wie sie den Spieß umdrehen können, machen die richtigen Züge und gehen als Sieger aus dem Spiel hervor. Ich durfte diese Situation einige Male erleben und kann versichern, dass es sich um unfassbar schöne Momente handelt. Die Aufregung, das Zittern am ganzen Körper und die verschwitzten Hände inklusive.

Wenn man das Spielfeld und seine Figuren zum ersten Mal sieht, wirkt ein Schachspiel wie eine Ordnung, die sich dem Betrachter überhaupt nicht erschließt. Manche Stellungen wirken extrem bedrohlich, obwohl sie sehr harmlos sind und scheinbar harmlose Stellungen können zugleich die bedrohlichsten sein. Wenig tröstlich ist für den Anfänger, dass diese Einschätzung sich kaum ändert, wenn man die Regeln gelernt hat und einige Partien spielt. Erst durch das regelmäßige Spiel, durch Training und Lesen entwickelt man nach und nach ein Spielverständnis, mit dem man die Positionen auf dem Feld nicht nur einschätzen, sondern auch zu würdigen weiß. In der Tat ist es so, dass man von einigen Ideen im Spiel geradezu begeistert sein kann.

Gleiches gilt für wunderschöne Zugkombinationen. Wenn man selbst ein schönes Matt auf dem Brett entdeckt, ist es ein wirklich tolles Gefühl. Doch auch beim Training und dem Studium diverser Schachbücher tauchen immer wieder Stellungen und Züge auf, die einen tief beeindrucken. Je besser man das Spiel versteht, umso mehr schätzt man die Spielkunst großer Meister. Bei manchen Zügen bekommt man regelrecht eine Gänsehaut, wenn man die Genialität der Gedanken erkennt. Schach ist nicht nur ein Spiel, ein Zeitvertreib oder Sport, manchmal ist Schach sogar große geistige Kunst die zeigt, zu welcher Genialität der menschliche Verstand in der Lage ist.