Jeder Schachspieler kennt das: Die Eröffnung ist abgeschlossen, die eigenen Figuren stehen gut, und beim Gegner sind keine offensichtlichen Schwächen erkennbar. Was nun?
Während zahllose Bücher zu Eröffnungen und Endspielen existieren, wird das Mittelspiel eher spärlich behandelt – insbesondere im deutschsprachigen Raum. Das liegt unter anderem an seiner Komplexität. In der Eröffnung gibt es immer die gleiche Ausgangssituation, und bei Endspielen treten klar erkennbare Muster auf. Außerdem sind Endspiele endgültig: Bei fehlerfreiem Spiel ist das Ergebnis vorhersehbar. Im Mittelspiel hingegen herrscht diese Klarheit nicht, auch wenn sie sich durch Computeranalysen recht gut bestimmen lässt.
Sofern Sie die Einführung zu diesem Abschnitt aufmerksam gelesen haben, ist Ihnen bekannt, worauf es hinausläuft: Savielly Tartakower und sein berühmtes Zitat. Wenn wir nicht wissen, was zu tun ist, bedienen wir uns der Strategie. Aber was tun, wenn uns auch da nichts einfällt? Das ist nicht ungewöhnlich. Sie sehen beim Gegner keine klaren Schwächen, Taktiken sind nicht in Sicht, und bereits im 12. Zug haben Sie das Gefühl, ein Remis anbieten zu können – oder zu müssen. Sollte dies passieren, gibt es einen Rettungsanker: Verbessern Sie die Position Ihrer Figuren, bis Ihnen etwas Besseres einfällt!
Im Folgenden werde ich mich auf die wichtigsten Aspekte des Mittelspiels konzentrieren und allgemeine Inhalte vermitteln, die für Sie von größtem Nutzen sind. Aufgrund der Komplexität werde ich konkrete Partien heranziehen, um möglichst universelle Aussagen anhand von Praxisbeispielen zu verdeutlichen. Ich habe das umfangreiche Thema auf drei Hauptpunkte reduziert, da ich überzeugt bin, dass diese den Übergang vom Gelegenheitsspieler zum Amateur am effektivsten beschleunigen und Ihnen den größten Mehrwert bieten.
- Die Verbesserung der eigenen Position.
- Strategien im Mittelspiel.
- Typische Fehler im Mittelspiel.
Die Verbesserung der eigenen Position steht aus zwei Gründen an erster Stelle. Erstens ist sie ein universelles Thema, das sowohl in der Eröffnung als auch im Endspiel von Bedeutung ist. Zweitens ist es die Lektion, die Ihnen derzeit am ehesten helfen wird, da Sie möglicherweise noch nicht in der Lage sind, die meisten Strategien zu erkennen oder umzusetzen. Dies erfordert Zeit und praktische Erfahrung. Positionelle Maßnahmen lassen sich in der Regel leichter ausmachen und umsetzen. Legen wir los!
Die Verbesserung der eigenen Position
Dies bezieht sich im Schach darauf, die eigenen Figuren so zu manövrieren und zu platzieren, dass sie aktiver und effektiver werden, um langfristig Vorteile zu erzielen. Im Mittelspiel bedeutet es, dass man beachtet, die Figuren auf Felder zu stellen, von denen aus sie mehr Kontrolle über das Brett ausüben, besser koordiniert agieren und potenziell gefährliche Drohungen für den Kontrahenten darstellen können. Oft geht es darum, Schwächen in der eigenen Stellung zu beseitigen, die Bewegungsfreiheit der Figuren zu erhöhen und gleichzeitig die Pläne des Gegners zu stören oder zu verzögern.
Eine gute Position im Mittelspiel zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht nur die eigenen Pläne vorantreibt, sondern sicherstellt, dass der Gegner weniger Raum oder Möglichkeiten hat, seine Figuren effektiv einzusetzen. Es geht darum, die Initiative zu ergreifen und den eigenen Einflussbereich auf dem Brett zu maximieren, sodass man für zukünftige Taktiken und Strategien besser gerüstet ist. Dies kann beinhalten, Figuren ins Zentrum zu bringen, Türme auf offene Linien zu stellen oder Bauern so vorzurücken, dass sie Druck auf die gegnerische Stellung ausüben und wichtige Felder kontrollieren.
Im Kern zielt die Verbesserung der eigenen Position darauf ab, die Position flexibler und stärker zu machen, um die Chancen auf Erfolg im weiteren Verlauf der Partie zu erhöhen. In den nachfolgenden Situationen werden wir ausschließlich auf solche Maßnahmen achten und ignorieren bewusst alle strategischen Ideen, auch wenn es welche gäbe.
Situation 1
Schwarz zog zuletzt h6. Dies soll gleich drei Ideen von Weiß verhindern. Das Opfer Lxh7 könnte zu ernsthaften Problemen führen. Außerdem verhindert h6 Bestrebungen wie Sg5 oder Lg5. Konkrete Taktiken liegen somit nicht auf dem Brett und auch um strategische Pläne sieht es mager aus. Es gäbe sie, aber sie sind nicht offensichtlich, weshalb wir an einem typischen Punkt sind, an dem es darum geht, die eigene Position zu verbessern. Was kann Weiß tun? Und warum?
Rein analytisch ist die Position ausgeglichen, vielleicht mit einem minimalen Vorteil für Weiß. Das mag verwundern, da Weiß drei Bauerninseln hat, Schwarz aber nur zwei. Zentraler Punkt in der Stellung ist der vorgerückte Bauer auf e5. Ein kleiner Schwachpunkt, aber zugleich ein Stachel im Fleisch der schwarzen Stellung. Bauer e5 muss gehalten werden. Er ist bereits durch den Springer auf f3 gedeckt, aber das wird nicht ausreichen. Um die Deckung zu verbessern, gibt es drei unmittelbare Züge: De2, Te1 und Lf4. Welcher ist der beste Zug?
Fangen wir mit 1. Lf4 an. Erscheint sehr plausibel. Der Zug entwickelt den Läufer, Weiß stünde kurz davor, die Türme zu verbinden. Ein 1…g5 von Schwarz kann mit 2. Lg3 beantwortet werden und destabilisiert die Verteidigung von Schwarz. Eine interessantere Antwort von Schwarz ist 1…Se7, gefolgt von 2…Sf5 oder 2…Sg6. Kurz gesagt: 1. Lf4 ist kein schlechter Zug, könnte aber zu Verwicklungen und ggf. einem Abtausch gegen einen Springer führen. Oder zu weiteren Zügen, um auszuweichen.
Der nächste Kandidat ist 1. Te1. Ein absolut solider Zug, der e5 deckt, nichts verschlechtert, aber auch ansonsten nicht viel verbessert. Schwarz könnte mit 1…Ld7 oder 1…Se7 fortsetzen. Der Turmzug würde auf jeden Fall möglichen Konflikten zumindest vorerst aus dem Weg gehen.
Schauen wir uns 1. De2 an. Wir decken erneut e5. Außerdem machen wir, wie bei 1. Lf4, die Grundreihe frei, ohne aber sofort einen direkten Angriff zu riskieren. Außerdem verlassen wir eine mögliche Fesselung von Läufer auf d3, ohne dessen Deckung aufzugeben. Das bedeutet: Durch 1. De2 gewinnt der Läufer seine Beweglichkeit zurück, ohne das man einen Damentausch riskieren muss. In dieser Situation ist 1…Se7 fast schon erzwungen, damit der Königsflügel ausreichend gesichert werden kann. Dann aber liegt 2. Td1 mit einem konkreten Abzugsangriff (Lh7+ liegt in der Luft) auf dem Brett. Dem wird Schwarz ausweichen, aber Weiß hätte damit immerhin die offene d-Linie mit einem Turm besetzt.
Somit ist 1. De2 der beste Zug, auch wenn die anderen beiden Züge nicht schlecht sind. Aber der Damenzug setzt Schwarz am meisten unter Druck und bietet Weiß zugleich die besten Optionen.
Situation 2
Die folgende Position ist aus dem WM Kampf Kortschnoj gegen Karpow 1978. Karpow denkt über seinen 12. Zug nach.
Weiß steht minimal besser. Karpow zieht 12…e5?!. Das ist ein kleiner Fehler und sorgt dafür, dass Weiß nun – auf dem Niveau von Großmeistern – relativ gut steht. Was wäre die bessere Wahl gewesen?
Diese Position habe ich gewählt, weil es eine Stellung ist, in der es für Schwarz kaum gute Züge gibt, er aber viele Fehler machen kann. Selbst Karpow hatte seine liebe Mühe damit und er war amtierender Weltmeister und ohnehin einer der besten Positionsspieler aller Zeiten.
Tauchen wir in die Gedankenwelt ein. Schwarz hat drei Bauerninseln, Weiß nur zwei.
Mit c, d und f gibt es drei halboffene Linien. Mit f8 hat Schwarz bereits eine davon mit einem Turm besetzt. Wir sehen aber auch, dass Weiß einen Bauern mehr hat. Als Kompensation hat Schwarz Kontrolle über das Zentrum und etwas mehr Aktivität.
Aufgrund dieser Merkmale machen wir uns weitere Gedanken. Wie gesagt: Viele gute Möglichkeiten hatte Karpow nicht. Wir könnten die Dame von e8 bewegen, um die Türme zu verbinden. Uns stehen dafür die Felder e7 und f7 zur Verfügung, da g6 und h5 von Weiß kontrolliert werden. Beide Züge wären aber Fehler, da Weiß Aktivität bekommt und bspw. nach 12…De7 mit 13. a3 La5 14. b4 cxb4 15. Ld2 ordentlich Rückenwind bekommt. Das hat Karpow mir Sicherheit gesehen.
Ein weiterer Kandidat ist 12…a6. Die Idee ist ein Abtausch des Bauern gegen b5. Das reduziert die Bauerninseln und gibt dem Turm eine weitere halboffene Linie. Doch auch hier kann Weiß mit 13. a3 La5 14. b4 Schwarz unter Druck setzen. Allerdings wäre tatsächlich 12…a6 besser gewesen als 12…e5.
Doch warum ist 12…e5 schlecht? Es schafft Raum, übt Druck auf d4 und f4 aus und hat den Gedanken, Weiß weiter einzuschnüren. 12…e5 ist aus denselben Gründen ein Fehler wie die anderen Züge. 13. a3 La5 14. b4 usw. Tatsächlich spielte Kortschnoj den etwas schwächeren Zug 13. Lf5, der aber ebenfalls ziemlich gut ist.
Der beste Zug wäre 12…c4 gewesen. Er hat ähnliche Ideen wie 12…e5, übt aber direkt Druck auf Weiß aus (der Läufer wird bedroht), bildet eine schöne Bauernkette und deckt weiterhin das Feld f5. Weiß hat nun drei Möglichkeiten, um mit dem Läufer auszuweichen. Lb1 ist ganz schlecht, da es den Turm einschnürt. Lc2 behält die Diagonale im Blick, nimmt aber der Dame die Möglichkeit, auf den Damenflügel auszuweichen. Le2 ist die beste Option, auch wenn es vorübergehend den Läufer stark einschränkt.
Letztlich ging die Partie nach mehreren Ungenauigkeiten, Fehlern und sogar einem groben Patzer von Kortschnoj nach 42 Zügen Remis aus. Selbst auf dem höchsten Niveau wird nicht jeder Fehler bestraft.
Situation 3
Das nächste Spiel ist ebenfalls aus einer WM-Partie, nämlich Ian Nepomniachtchi gegen Magnus Carlsen 2021.
Die Partie wurde von beiden Seiten absolut perfekt geführt und nach dem 41. Zug von Nepomniachtchi einigten sich beide auf ein Remis. Bevor wir in die Analyse der Stellung nach dem 15. Zug von Weiß einsteigen, schauen wir uns die Bauernstruktur genauer an.
Die Stellung ist sehr ausgeglichen. Carlsen hat mit Schwarz gleich mehrere gute Züge zur Auswahl. Überlegen Sie sich zunächst, welche Züge für Schwarz in Frage kämen und warum.
In der engeren Auswahl sind drei Züge. 15…Sc6, 15…Sg6 und 15…Tb8. Carlsen entschied sich für 15…Sc6. Auf den ersten Blick ist das etwas verblüffend. Ja, der Springer macht Druck auf b4 und d4, die derzeit ausreichend gedeckt sind und ja, er befreit ein wenig den Läufer auf f8, aber nimmt dem Läufer auf b7 zumindest vorläufig die Diagonale. Warum dies keine Rolle spielt, zeigt sich in den nächsten Zügen. 16. Tc1 a5 17. Lc3 Lc8 18. d4 exd4 19. Sxd4 Sxd4 20. Dxd4 Le6
Der Springer wurde relativ schnell abgetauscht, aber die Diagonale a8 bis h1 war für Carlsen in dieser Position nicht wichtig. Sein Läufer steht auf e6 wesentlich besser. Das Beeindruckende ist die Eleganz und die Leichtigkeit, mit der Carlsen dieses Manöver ausführt. Er hält das Gleichgewicht im Zentrum und verbessert dabei ganz beiläufig seine Position.
Der zweitbeste Zug wäre 15…Tb8 gewesen. Die Grundidee ist einleuchtend: Der Turm wird auf eine halboffene Linie gesetzt. Eine mögliche Fortsetzung wäre ein harter Kampf im Zentrum gewesen: 16. Sfxe5 dxe5 17. Sxe5 Sed5 18. exd5 Lxd5 19. Lxd5 Dxd5
Weiß geht mit einem Bauern mehr aus dem Kampf heraus, die Stellung ist dennoch sehr ausgeglichen. Doch auf dem Weg dort hin gab es viele Verwicklungen und Möglichkeiten für Fehler. Ein Grund für Carlsen, sich für 15…Sc6 zu entscheiden, wird gewesen sein, dass 15…Tb8 deutlich komplizierter, vielleicht sogar unberechenbarer war.
Schauen wir uns den dritten Kandidaten an: 15…Sg6. Dies ist die etwas schwächere der drei Möglichkeiten. Einerseits wird der Weg für den Läufer f8 freigegeben und der Springer stärkt zugleich den Königsflügel, auch wenn er dafür die Dominanz im Zentrum etwas aufgibt. Aber 15…Sg6 bietet für Weiß eine Chance, welche die anderen beiden Züge nicht boten: eine ungedeckte Figur anzugreifen und somit Initiative zu übernehmen. 16. Sa5. Nun werden Sie sich vielleicht sagen: »Was kümmert mich der Angriff, wenn der Läufer ohnehin auf c8 wollte?« Tatsächlich ist 16…Lc8 die beste Antwort. Doch mit 17. Sc6 hat Weiß einen Vorposten errichtet, was Schwarz nicht schmecken dürfte. Trotz aller Pläne, nämlich den Angriff auf den Königsflügel, muss Schwarz sich stets die Frage stellen, was der Springer auf c6 tun wird.
Bei gleichwertigen Kandidatenzügen entscheidet man sich häufig für den, der die wenigsten Konflikte für die eigene Stellung und die meisten Konflikte für die gegnerische Stellung bedeutet.
Situation 4
Das letzte Beispiel entstammt einer WM-Partie Kasparow gegen Kramnik aus dem Jahr 2000.
Kramnik ist mit Schwarz am Zug, kurz davor wurden die Damen abgetauscht. Die Stellung ist ausgeglichen, aber in dieser Position gibt es für Schwarz nur einen guten Zug. Es ist ein sehr kritischer Moment. Selbst der zweitbeste Zug wäre bereits ein Fehler. Kramnik hat den Zug gefunden und nach 41 Zügen endete die Partie Remis. Die Frage ist, ob wir diesen Zug ebenfalls finden.
Das Problem für Schwarz ist, dass Weiß sehr viel droht. Schwarz hat drei ungedeckte Figuren und eine gedeckte, aber kritische Figur. Ungedeckt sind b5, c5, c7, gedeckt aber kritisch ist f6. Kritisch ist der Springer auf f6 nicht, weil bxf6 die Königssicherheit gefährden würde. Die Damen sind aus dem Spiel, beide Seiten besitzen nur noch einen Turm, da hält sich die Gefahr in Grenzen. Kritisch ist es, weil sich eine weitere Bauerninsel bilden könnte.
Der Bauer auf b5 wird direkt angegriffen. Nach Lxf6, bxf6 könnte nach Td7 für Schwarz massiv Gefahr drohen.
Schauen wir uns mal die zwei weniger guten Optionen an. 16…Tc8?. Dass dieser Fehler der drittbeste Zug ist, zeigt, wie kritisch die Situation ist. Es folgen 17. Lxf6 gxf6 18. Sd3 Le7 19. b4 h5 20. f3
Das ist – nicht nur im höheren Sinne – jetzt schon verloren.
Also kommen wir zum zweitbesten Zug. 16…Te8?!. Während 16…Tc8? nicht wirklich einem höheren Zweck dient, hat 16…Te8?! zumindest eine Idee. Angriff auf e4! Schauen wir uns an, wie die Geschichte weitergehen könnte. 17. Lxf6 gxf6 18. Sd7 Le7
So viel zum Thema »Angriff auf e4«. Le7 ist aufgrund der drohenden Gabel auf f6 erzwungen. Im weiteren Verlauf wird Weiß immer mehr Raum erobern und der Vorsprung von einem Bauern wird sich immer bemerkbarer machen. Diese Stellung ist für Schwarz im höheren Sinne verloren.
Kommen wir also zum einzig richtigen Zug: 16…b4. Um zu zeigen, wie wunderbar dieser Zug und die daraus resultierende Kombination ist, betrachten wir den weiteren Verlauf des Spiels: 17. Lxf6 bxc3 18. bxc3 gxf6 19. Sd7 Ld6 20. Sxf8 Kxf8
Obwohl Schwarz von den Figurenwerten her eine Bauerneinheit hinten liegt, ist die Stellung sehr ausgeglichen. Und das trotz der Bauerninseln.
Der Schlüssel liegt in der Verteilung der Bauern und dem Läuferpaar. Durch 16…b4 gelang es Schwarz, die beiden Springer gegen den eigenen Turm abzutauschen. Da es nur eine vernünftige Bauernkette gibt, haben die beiden Läufer extrem viel Platz. Am Ende – so viel sei noch gesagt – würde es zu einem Endspiel Läufer gegen Turm ohne weitere Bauern kommen. Das ist Remis. Hier ein Beispiel, wie die Stellung aussehen könnte:
Die Partie ist ein wunderbares Beispiel für etwas, dass jeder Schachspieler kennt: Die Stellung ist ausgeglichen, aber es gibt nur einen richtigen Zug. Oft ist dieser Zug sehr unscheinbar. Ein einfaches 16…b4 hält das Gleichgewicht, hält Schwarz am Leben. Die Schönheit des Schachs liegt in seiner Tiefe. Ein unscheinbarer Zug kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. So wie im Leben erfordert auch das Schachspiel ein feines Gespür für den richtigen Moment.
Noch ein wichtiger Ratschlag: Wenn man seine Position nicht mehr verbessern kann und auch keinen Plan für einen Angriff findet, sollte man versuchen, die Pläne des Gegners aktiv zu stören. Um dies erreichen zu können, benötigt man aber ein Grundverständnis für Strategien.
Strategien im Mittelspiel
Dies ist vermutlich der wichtigste Abschnitt dieses Buches. Neben den sieben goldenen Regeln der Eröffnung und den taktischen Motiven werden die folgenden Lektionen den größten Fortschritt in Ihrer schachlichen Entwicklung bewirken.
Insgesamt habe ich etwa fünf Jahre über dieses Kapitel nachgedacht, bevor ich die ersten Zeilen dazu schrieb. Die Komplexität des Mittelspiels und die damit verbundene didaktische Herausforderung sind der Grund dafür. Es gibt unzählige strategische und positionelle Aspekte, von denen einige möglicherweise noch unbekannt sind. Wie so oft liegt die Herausforderung im Spagat zwischen Theorie und Praxis. In der Theorie möchte man die Dinge einfach halten: Eine Lektion, ein Aspekt, für sich isoliert betrachtet, ist die leicht verdauliche Kost für den lernwilligen Geist. Doch in der Praxis zeigt sich, dass es diese leicht verdaulichen Portionen nur selten gibt. In den Stellungen verbergen sich zahlreiche Ideen, Konzepte, Strategien und Betrachtungsweisen. Schach ist sehr dynamisch – insbesondere das Mittelspiel. Es lässt sich nicht auf wenige »Naturgesetze« reduzieren. Wenn wir es versuchen, dann nur, um die hochkomplexen Strukturen überhaupt greifbar machen zu können.
Letztlich habe ich mich für die denkbar einfachste Perspektive entschieden: Schachpartien werden gewonnen, indem man den gegnerischen König matt setzt. Diese einfache Wahrheit führt uns zum Angriffsspiel, auch wenn nicht jeder Schachspieler ein typischer Angriffsspieler ist. Dennoch sind Angriffe auf den König das Wesen des Spiels. Von ihnen leiten sich die wichtigsten Strategien ab – auch für Spieler, die nicht primär auf Angriff setzen.
Das bedeutet, dass sich die folgenden Strategien auf den Angriff gegen den König konzentrieren. Wenn Sie diese Strategien verstehen und verinnerlichen, können Sie daraus auch weitere Strategien ableiten, etwa zur Verteidigung und für Gegenangriffe. Und da das Tempo im Schach von entscheidender Bedeutung ist, lassen Sie uns gleich beginnen.
Statik vs. Aktivität
Da ich ein Freund davon bin, vom Allgemeinen ins Spezielle zu gehen, folgen zunächst globalere Betrachtungsweisen. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts begann man zu verstehen, dass nicht immer die statische Betrachtung einer Position und die daraus abgeleitete Strategie eine große Rolle spielen, sondern viel mehr die Aktivität der einzelnen Figuren.
Unter »Aktivität der Figuren« werden die Mobilität und die Anzahl der Felder verstanden, die eine Figur oder mehrere Figuren kontrollieren. Eine aktive Figur ist in der Lage, viele Felder zu bedrohen, gegnerische Figuren anzugreifen, das Spiel zu dominieren und verschiedene Pläne flexibel umzusetzen. Aktive Figuren stehen häufig zentral auf dem Brett oder in Positionen, die eine hohe Kontrolle über wichtige Felder, Linien, oder Diagonalen bieten.
Aktive Figuren können Druck auf den Gegner ausüben, indem sie Bedrohungen aufstellen, die der Gegner parieren muss. Das kann ihn in eine defensive Stellung zwingen und Fehler provozieren. Figuren, die aktiv stehen, können schnell die Seite wechseln oder sich an veränderte Gegebenheiten anpassen, was die Möglichkeiten des Gegners einschränkt und die eigenen Chancen auf einen taktischen Schlag erhöht. Aktivität ist oft mit Raumgewinn verbunden. Figuren, die weiter vorne auf dem Brett stehen, haben meist mehr Einfluss auf das Spielgeschehen. Sie können besser zusammenarbeiten, was die Effektivität von Kombinationen und strategischen Plänen erhöht.
Ein Beispiel:
Es ist offensichtlich, dass Schwarz schlechter dran steht. Die Figuren sind zwar ausgeglichen und alle Bauern vorhanden, aber wahrscheinlich würden sich in dieser Stellung acht von zehn Spieler für Weiß entscheiden. Mehr Raum und mehr Aktivität. Das schwächste Feld von Schwarz ist übrigens d6 – und sollte auch das Todesurteil werden. Fünf Züge später herrscht folgende bedauernswerte Stellung:
Schwarz wehrt sich noch tapfer weitere 30 Züge, aber wird folgerichtig besiegt. Im Übrigen war das eine Blitzpartie gegen Komodo Dragon 3.1. Ich hatte Schwarz.
Grundsätzlich sind beide Aspekte, also Strategie und Aktivität, eng miteinander verbunden, da eine gute Strategie oft darauf abzielt, die Aktivität der eigenen Figuren zu maximieren und die des Gegners zu minimieren. Eine Strategie, die auf inaktiven Figuren basiert, ist oft schwer umzusetzen, da die eigenen Kräfte nicht optimal genutzt werden können. In manchen Fällen kann die Aktivität der Figuren kurzfristig wichtiger sein als eine langfristige Strategie, insbesondere in dynamischen Stellungen, wo konkrete Drohungen und taktische Möglichkeiten entscheidend sind. In anderen Situationen, etwa in geschlossenen Stellungen, kann eine langfristige strategische Planung wichtiger sein, bei der die Aktivität der Figuren nur langsam aufgebaut wird.
Warum wir im Folgenden viel mehr über Strategie und weniger über Aktivität sprechen werden, ist einfach zu erklären: Strategische Konzepte sind zwar abstrakter, lassen sich aber anhand weniger Merkmale leichter erkennen und somit verstehen. Aktivität hingegen ist zwar berechenbar, aber ein eher mühsames Unterfangen. Mit viel Erfahrung erkennt man sie irgendwann auf einen Blick, doch bis dahin müssen Figuren, ihre Zugmöglichkeiten sowie die kontrollierten Felder – also die allgemeine Mobilität – gezählt werden. In diesem Bereich sind Computer unschlagbar gut, während es uns Menschen deutlich schwerer fällt.
Wo steht der König?
Diese Frage ist entscheidend für alle Angriffspläne. Im Mittelspiel befinden sich die Könige in der Regel noch auf der letzten oder vorletzten Reihe. Sie stehen entweder in der Mitte, auf dem Königsflügel oder auf dem Damenflügel. Je nach Standort der beiden Könige kommen unterschiedliche Strategien zum Einsatz. Natürlich hängen die genauen Pläne auch von weiteren Faktoren ab, aber grundsätzlich lassen sich die Strategien in zwei Kategorien einteilen: »Beide Könige befinden sich auf derselben Seite« und »Die Könige stehen auf unterschiedlichen Seiten«.
Je nach Standort der Könige entwickeln sich die Pläne für beide Seiten oft auf natürliche Weise. Wenn beide Könige auf derselben Seite stehen, spielt die Sicherheit eine zentrale Rolle. Hier wird oft versucht, die eigene Königsstellung zu festigen, bevor man einen Vorstoß startet. Ein Spieler könnte darauf abzielen, das Zentrum zu kontrollieren und so den gegnerischen König in eine defensive Haltung zu zwingen, während er selbst Raum und Zeit gewinnt, um einen Angriff zu planen.
Befinden sich die Könige jedoch auf verschiedenen Seiten, nimmt die Partie oft eine schärfere Wendung. In solchen Fällen wird das Spiel zu einem Wettlauf, bei dem beide Spieler versuchen, ihre Angriffe rascher und präziser als der Gegner vorzutragen. Dabei spielt die Dynamik eine wesentliche Rolle – wer schneller agiert und die Initiative übernimmt, kann einen entscheidenden Vorteil erlangen. Hierbei wird der Kampf oft entlang der Linien und Diagonalen geführt, auf denen die Figuren die gegnerische Königsstellung ins Visier nehmen können. Während der eine Spieler vielleicht seine Figuren auf die Schwächen im Lager des Gegners richtet, sucht der andere nach Wegen, den eigenen König zu schützen und gleichzeitig Gegenschläge vorzubereiten.
In beiden Szenarien hängt der Erfolg jedoch nicht nur vom Standort der Könige ab, sondern auch von der Fähigkeit, die Stellung korrekt einzuschätzen und die richtigen Prioritäten zu setzen. Die Balance zwischen Angriff und Verteidigung ist dabei entscheidend – ein überstürzter Vorstoß kann genauso fatal sein wie eine zu passive Defensive. Im Laufe der Partie muss man daher immer wieder neu abwägen, ob der Zeitpunkt für einen Ansturm gekommen ist oder ob es klüger ist, die eigenen Kräfte zu sammeln und auf den richtigen Moment zu warten. Eine sehr typische Situation für Zurückhaltung entsteht, wenn der Gegner noch nicht rochiert hat. Man wartet gerne ab, für welche Seite sich der Gegenspieler festlegt, um dann konkrete Angriffspläne ins Auge fassen zu können. Bis dahin gilt es, die eigene Position zu verbessern und gegebenenfalls Druck auszuüben, damit sich die Opposition für eine Rochade entscheidet.
Abtauschsituationen
Bereits in der Eröffnung stellt sich häufig die Frage, welche Figuren abgetauscht werden sollten. Dass dies stark von der jeweiligen Position abhängt, haben wir bereits besprochen. Doch es gibt einige Faustregeln, die als Orientierung dienen können, besonders in unklaren Situationen, in denen schnelle Entscheidungen gefragt sind. Zwar mag es Ausnahmen von jeder Regel geben, doch eine Entscheidung, die auf soliden statistischen Grundlagen basiert, erhöht in der Regel die eigenen Gewinnchancen.
Im Laufe einer Partie ergeben sich oft Situationen, in denen die Abtauschfrage nicht nur taktischer, sondern auch strategischer Natur ist. Zwei Leichtfiguren sind in allen Partiephasen fast immer wertvoller als ein Turm.
Schwarz steht auf Gewinn
Besonders im Mittelspiel, wenn die Aktivität der Figuren eine entscheidende Rolle spielt, übertreffen zwei Leichtfiguren oft sogar den Wert eines Turms und eines Bauern. Im Endspiel hingegen können zwei Leichtfiguren und ein Turm nahezu gleichwertig sein, doch bleibt der Vorteil oft bei den Leichtfiguren, wenn sie harmonisch zusammenarbeiten.
Ein weiteres strategisches Prinzip betrifft die Frage, welche Leichtfiguren vorteilhafter sind. In den meisten Situationen sind zwei Läufer einer anderen Kombination von Leichtfiguren überlegen. Insbesondere in offenen oder halboffenen Stellungen entfalten zwei Läufer ihre volle Kraft, indem sie das gesamte Spielfeld kontrollieren. Hier sind Läufer und Springer meist weniger stark, da der Springer durch seine eingeschränkte Reichweite limitiert ist.
Dennis Wagner gegen Sanan Sjugirov 2015
Mit fortschreitender Partie, insbesondere im Mittelspiel, öffnen sich die Linien, was die Bedeutung der Türme erhöht. Diese können dann über offene Linien und Reihen Druck ausüben und in das gegnerische Lager eindringen. In solchen Stellungen sind zwei Türme oft mehr wert als eine Dame, insbesondere wenn der eigene König sicher steht und die Türme voll in den Angriff integriert werden können. Allerdings ist diese Bewertung stark positionsabhängig: Türme haben oft Schwierigkeiten, gleichzeitig anzugreifen und zu verteidigen, was ihre Effektivität mindern kann, wenn der König bedroht ist.
Simon Kim Williams gegen Jonathan Rowson 2004. Weiß gewinnt aufgrund der angegebenen Merkmale
Im Vergleich zwischen Dame und anderen Figuren ist zu beachten, dass eine Dame im Allgemeinen wertvoller ist als ein Turm und eine Leichtfigur. Allerdings erfordert das Spiel mit einer Dame gegen mehrere gegnerische Figuren präzise Berechnung, da Turm und Läufer im Endspiel oft eine Festung errichten können, die schwer zu durchbrechen ist.
Jan Petras gegen Vasil Tulajdan 1964. Remis
In offenen Stellungen zeigt sich zudem, dass Dame und Läufer häufig stärker harmonieren als Dame und Springer, da der Läufer die Schwächen in der gegnerischen Stellung besser ausnutzen kann.
Rudolf Spielmann gegen Richard Teichmann 1907. Schwarz gewinnt
Interessanterweise übersteigen in vielen Mittelspielstellungen drei Leichtfiguren den Wert einer Dame, da sie gemeinsam das Spielfeld dominieren können. Doch ändert sich diese Bewertung oft im Endspiel, wo die Dame ihre Flexibilität und Kraft besser entfalten kann.
Michal Krasenkow gegen Luke J McShane 2003. Schwarz gewinnt
Schließlich gibt es allgemeine Präferenzen für bestimmte Figurentypen in unterschiedlichen Stellungen. In offenen und halboffenen Positionen sind Läufer in der Regel bevorzugt, da sie über weite Distanzen hinweg Druck ausüben können. In geschlossenen Stellungen hingegen kann der Springer, mit seiner Fähigkeit, über Hindernisse hinweg zu springen und taktische Drohungen zu schaffen, wertvoller sein. Insgesamt gibt es jedoch mehr Stellungen, in denen der Läufer im Vorteil ist, was ihn zu einer oft präferierten Figur macht.
Das Zusammenspiel von Zentrum und Flügeln
Ein effektiver Königsangriff im Mittelspiel basiert nicht nur auf der direkten Bedrohung der gegnerischen Königsstellung, sondern auch auf einer soliden Kontrolle des Zentrums. Das Zentrum bildet die Grundlage für nahezu alle strategischen Pläne, insbesondere wenn es darum geht, einen Angriff auf dem Flügel durchzuführen.
Die zentrale Kontrolle ist der Schlüssel, um einen erfolgreichen Angriff auf dem Flügel zu starten. Ein starkes Zentrum sichert wichtige Felder und Linien, die die Mobilität der eigenen Figuren verbessern und deren Einsatz auf dem Flügel ermöglichen. Durch die Beherrschung des Zentrums kann der Angreifer schnell Truppen verlagern und flexible Angriffsoptionen entwickeln, während der Gegner oft gezwungen ist, seine Ressourcen auf mehrere Fronten zu verteilen.
Ein häufig anzutreffendes strategisches Motiv besteht darin, durch Druck im Zentrum den Gegner dazu zu zwingen, seine Bauern- oder Figurenstellung am Flügel zu schwächen. Ein Vorstoß im Zentrum kann den Gegner dazu bringen, seine Bauern auf den Flügeln voranzutreiben oder seine Figuren umzupositionieren, um das Zentrum zu halten. Diese Reaktionen schaffen oft Schwächen, die im weiteren Verlauf für einen Flügelangriff ausgenutzt werden können.
Die Beherrschung des Zentrums zwingt den Gegner oft dazu, seine Kräfte auf diesen Bereich zu konzentrieren, was seine Verteidigung am Flügel schwächt. Wenn der Gegner gezwungen ist, Figuren zur Unterstützung des Zentrums abzuziehen, kann dies zu einer Überlastung seiner Verteidigung führen. In solchen Situationen kann ein gut vorbereiteter Flügelangriff besonders effektiv sein, da der Gegner möglicherweise nicht genügend Ressourcen hat, um beide Angriffsrichtungen gleichzeitig abzuwehren.
In vielen Fällen erfordert ein erfolgreicher Flügelangriff, dass das Zentrum geöffnet oder abgebaut wird. Der Abtausch zentraler Bauern kann Linien und Diagonalen freilegen, die es den Figuren ermöglichen, die gegnerische Königsstellung anzugreifen. Ein solches Vorgehen kann auch den gegnerischen König exponierter machen, wodurch der Erfolg des Angriffs wahrscheinlicher wird.
Ein wesentlicher Faktor für einen erfolgreichen Angriff ist die Koordination der Figuren, sowohl im Zentrum als auch auf dem Flügel. Figuren, die zunächst im Zentrum positioniert waren, können schnell auf den Flügel verlagert werden, um dort Druck auszuüben. Zum Beispiel können Türme, die über offene oder halb offene Linien ins Zentrum eindringen, rasch zur Unterstützung eines Flügelangriffs umgeleitet werden. Ebenso können zentral platzierte Springer flexibel eingesetzt werden, um entweder zentrale oder flügelseitige Schwächen des Gegners anzugreifen.
Man sagt: »Ein Angriff am Flügel sollte durch einen Gegenschlag im Zentrum beantwortet werden!« Deshalb kann ein Angriff auf dem Flügel besonders dann erfolgreich sein, wenn zuvor die gegnerische Kontrolle über das Zentrum geschwächt wurde. Ohne dominierende Zentralstellung ist es für den Gegner schwieriger, einen Flügelangriff abzuwehren oder selbst Gegenspiel zu entwickeln. Daher kann es sinnvoll sein, die gegnerische Zentralstruktur gezielt zu unterminieren, bevor man einen entscheidenden Angriff auf dem Flügel startet.
Dies waren nur die wichtigsten theoretischen Gedanken zum Thema »Königsangriff«. Stürzen wir uns in die praktischen Beispiele.
Generelle Angriffspunkte
Da meistens kurz rochiert wird, bieten die Bauern vor dem König ein beliebtes Angriffsziel. Bei Schwarz sind das die Felder f7, g7 und h7, bei Weiß entsprechend f2, g2 und h2. Diese Angriffe können sogar mit Opfern verbunden werden, da sie häufig, aber nicht immer, so stark sind, dass sie ein solches Opfer rechtfertigen.
Damit solche Angriffe erfolgreich sind, braucht es nach einem Opfer – oder auch ganz generell – genug Material im Angriff. Zur Orientierung geht man davon aus, dass für ein anschließendes Matt mindestens eine Dame und zwei Leichtfiguren benötigt werden, da der Angriff ansonsten abgewehrt werden kann.
Hier ein Beispiel aus einer Bullet-Partie (1+1) zwischen Magnus Carlsen und Wesley So 2017 auf chess.com. Die Partie zeigt sehr viele Lektionen in wenigen Zügen, auch wenn es sich nicht um ein Läuferopfer handelt.
Einmal, dass selbst Weltklassespieler wie Wesley So extrem unter Druck geraten können, wenn wenig Zeit vorhanden ist und der Gegner, nicht minder Weltklasse, einen klaren, wenn auch einfachen strategischen Plan hat. Dann sehen wir die Auswirkungen von Zeitdruck. Letztlich gewinnt Carlsen nicht durch Matt oder Aufgabe, sondern durch Zeit, da sein Gegner aufgrund der Angriffe länger nachdenken muss. Und zuletzt werden wir sehen, dass selbst der ehemalige Weltmeister Carlsen eine klar gewonnene Stellung wegschmeißt, wenn enormer Zeitdruck vorhanden ist.
Wir beginnen mit den Eröffnungszügen: 1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 Sf6 4. cxd5 Sxd5 5. e4 Sxc3 6. bxc3 c5 7. Tb1 Le7 8. Sf3 O-O 9. Lc4 Dc7 (…cxd4 wäre interessant geworden. Weiß hat minimalen Vorteil) 10. De2 a6 11. O-O b5 12. Ld3 Lb7
Bis hierhin befinden wir uns noch in der Theorie des abgelehnten Damengambits. Der Läufer auf d3 schielt bereits auf h7. Schwarz zeigt mit Läufer auf b7 und Dame auf c7 ebenfalls Ambitionen, den weißen Königsflügel zu bearbeiten. 13. a4 bxa4? (Besser ist 13…cxd4 14. cxd4 b4) 14. Lf4 (Ablenkung) 14…Dc8 15. d5 exd5?! (15…a5 16. d6 Ld8)
Der weiße Plan nimmt Formen an. Auffällig ist, dass sich gleich vier wichtige schwarze Figuren auf dem Damenflügel befinden, die zur Abwehr des kommenden Angriffs nötig gewesen wären. 16. exd5 Lf6 17. Lg5?! (besser wären Sg5, Sd2 oder c4 gewesen) 17…Te8 18. Dc2 Lxg5 (18…Lxd5 wäre einen Versuch wert gewesen 19. Lxh7+ (19. Dxa4 Dc6) 19…Kh8) 19. Lxh7+
Auch wenn 19. Sxg5 genauer gewesen wäre, reicht der Angriff auf h7 mit Schach aus, um Schwarz großen Kummer zu bereiten. Der Läufer auf g5 fällt früh genug. 19…Kf8 20. Lf5 Dc7 21. Sxg5 Lxd5 22. Dxa4 (Schwarz muss nun Sh7+ beachten) 23. Dh4?
Hier wirft Weiß seine Ambitionen über Bord. Die richtige Kombination wäre folgende gewesen: 23. Sh7+ Kg8 24. Sf6+ gxf6 25. Dg4+
Das Springeropfer wäre zu schön gewesen. Allerdings ist bei so geringer Zeit selbst für einen Meister wie Carlsen die korrekte Berechnung nicht mehr zu bewältigen. 25…Kf8 26. Dh3 Le6 27. Dh6+ Ke7 28. Lxe6 Sd7 29. Lh3 Th8 30. Dd2 Txh3 31. Tfe1 Th5 32. Txe5+ fxe5
Hier ist Schwarz hoffnungslos verloren, aber es kam anders. 23…Dxf5 24. Dh8+ Ke7 25. Tfe1+ Le6 26. Dxg7?! Hier gibt Weiß endgültig seine Ambitionen auf. 26. Dh4 hätte die Spannung am Leben gehalten.
Doch Carlsen ist Pragmatiker und setzte auf die Zeit. Ihm ging es nur noch darum, nicht mehr durch einen groben Fehler zu verlieren. Dies erklärt die restlichen Züge: 26…Kd6 (vergiftet wäre 26…Kd8 27. Tbd1+ Sd7 28. Sxe6+ Kc8 29. Sg5 Txe1+ 30. Txe1) 27. Sxe6?! (27. Txe6+ wäre besser gewesen) 27…Txe6 28. Df8+ Kc7 (…Txe1+ ist eine echte Drohung.) 29. Ted1 1-0
Schauen wir uns eine Schnellschachpartie zwischen Garri Kasparow und Nigel Short aus dem Jahr 1993 an. Hier hat der Angriff ausgezeichnet funktioniert. Wir springen gleich in den 19. Zug. Weiß hat seinen Läufer von b5 auf d3 gestellt.
19…Lb4?? ist eine Vollkatastrophe! Weiß steht ohnehin besser, aber mit 19…Sa6 hätte Schwarz den Druck auf dem Damenflügel erhöht und Weiß nicht zum Opfer motiviert. 20. Lxh7+! Weiß steht nun klar auf Gewinn. 21…Kxh7 21. Sg5+ Kg8 22. Th3
Das droht schon Matt, etwa durch 22…Lc6 23. Th8+ Kxh8 24. Dh3+ Kg8 25. Dh7# 22…Dxg5 wäre auch schon Verzweiflung, da es die Dame verliert. Es kam 22…Te8 23. Df3 Dd7 24. Dh5 Kf8 25. Sh7+ Ke7 26. Lg5+ f6 27. Sxf6 und Schwarz gab auf.
Der Angriff hat funktioniert, weil Schwarz zu wenig Verteidiger hatte. 20…Kh8 wäre etwas besser gewesen, da es das Tempo des Angriffs vermindert hätte, aber auch dann wäre die Stellung verloren gewesen. Das große Problem an 19…Lb4?? war, dass damit einer der letzten Verteidiger auf dem Damenflügel gelandet ist. Der Läufer auf e7 deckte vor allem das Feld g5, welches für den weißen Springer und somit den gesamten Angriff wichtig wurde. Die Art, wie Kasparow diesen Fehler gekonnt ausnutzte, war gewohnt spektakulär.
Angriff durch das Zentrum
Marco Thinius gegen Robin Swinkels 2012
Beide haben kurz rochiert. In solchen Situationen erfolgt meistens ein Angriff über das Zentrum, um die Position des eigenen Königs nicht zu schwächen. Da Weiß einen Mehrbauern im Zentrum hat, kann dies durchaus gelingen. Werfen wir einen Blick auf die Struktur.
Trotz Ausgleich der Figuren hat Weiß ein Übergewicht. Neben dem strategischen Plan die Mitte zu erobern geht es auch darum, Schwarz zu Fehlern zu zwingen. Die Partie ging wie folgt weiter: 14. h3 Lxf3 15. Lxf3 exd4? (diesen Fehler schauen wir uns gleich noch an) 16. cxd4 c5 17. Tb1?!
Hier hat sich bei Weiß eine Ungenauigkeit eingeschlichen. Besser wäre gewesen: 17. dxc5 Lxa1 18. Lg4 f5 19. exf5 Dc7 20. fxg6 Se5 21. Lh6 Sxg4 22. Lxf8 Txf8 23. hxg4. Das wäre im höheren Sinne gewonnen.
Weiter ging es mit 17…cxd4 18. Txb5 Tb8 19. Td5 De7??
Hier ist der Patzer! Mit 19…Tc8 hätte Schwarz das Gleichgewicht noch gehalten, aber die Dame auf e7 gibt alles auf. Nach 20. Dc7 hat Weiß die absolute Kontrolle über das Zentrum und somit auch das Spiel. Schwarz steht massiv unter Druck. Der Springer auf d7 ist gefesselt und droht, verloren zu gehen. Der Bauer auf a7 hängt. Wenn er fällt, kann der weiße a-Bauer fast ungehindert marschieren. Um den Bauern auf d4 ist es auch nicht gut bestellt. Während Schwarz damit beschäftigt ist, die zahlreichen Drohungen zu meistern, kann Weiß durch die wesentlich höhere Mobilität die eigenen Figuren perfekt koordinieren, um weiter Druck aufzubauen.
Weiter ging es mit 20…Tfd8 21. Lg5 f6 22. Lf4 Tbc8 23. Dxa7 De8 24. T5xd4 Se5 25. Lxe5 fxe5 26. Td7 Txd7 27. Txd7 Df8 28. Ld1 Kh8 29. Tf7 Dd8
Weiß hat gewonnen. Durch ein paar Ungenauigkeiten zieht sich die Partie noch etwas, aber nach 58 Zügen gibt Schwarz auf.
Um die Idee besser verstehen zu können, springen wir in diese Position zurück:
Weiß dominiert das Zentrum und will diese Dominanz weiter ausbauen. Schwarz muss versuchen, dies zu verhindern bzw. zu kompensieren. Hier wäre 15…Sb6 der beste Weg gewesen. Das deckt d5 und auf c4 wartet ein Vorposten. Schwarz entscheidet sich aber für 15…exd4? Statt die Pläne von Weiß zu verhindern, unterstützt dieser Fehler alles, was Weiß haben will.
Nächstes Beispiel:
Zdenek Nývlt gegen Lionel Laffranchise 2014
Weiß hat im Zentrum einen Mehrbauern, Schwarz dafür auf dem Damenflügel. Auch wenn e4 in den folgenden Zügen nicht aktiv eingreift, liegt e5 in der Luft, außerdem übt e4 druck auf f5 aus. Da Weiß über keine nennenswerten Schwächen verfügt, die es kompensieren müsste, kann durch die Unterstützung von e4 der Angriff auf dem Königsflügel eingeleitet werden. 20. Lf1 ist etwas schwächer als 20. h4, aber schlägt in dieselbe Kerbe. 20…Td7 21. h4 Lg4 22. Se1 Le6 23. h5!
Die beiden Läuferzüge von Schwarz zeigen, dass er nicht weiß, wie er den drohenden Angriff effektiv verteidigen soll. Das Feld f5 wäre für den Läufer deutlich besser, aber das verhindert nun einmal der Bauer auf e4. Der weiße h-Bauer nutzt die Situation, um auf dem Königsflügel weiter Druck zu machen. 23…g5 24. Sf3 Lg4 25. a4 a5 26. Sb5 Sc6 27. Sbd4 Sxd4 28. Sxd4
Ein wirklich schönes Manöver. Schwarz ist gezwungen, den Springer zu nehmen und den eigenen Läufer zu geben. Das stärkt zwar die schwarze Position im Zentrum, verschlechtert aber die Verteidigung am Königsflügel. 28…Dd8 29. Le2 Txd4 30. Lxg4 c6 31 Te1
Die Stellung ist immer noch sehr ausgeglichen, der Vorteil von Weiß minimal. Zumindest für den Computer. Für Menschen ist die Stellung von Schwarz deutlich schwieriger zu berechnen, da viele Fehler drohen. Und so erging es Schwarz auch: 31…Kh6 32. Dc3 Sd7??
Nach 33. Dxd4 gab Schwarz sofort auf. Auch ein Spieler mit knapp 2400 Elo kann unter Zeitdruck einen solchen Fehler machen. Doch schauen wir uns die Position vor dem Fehler an:
Weiß hat die totale Kontrolle. Der Bauer auf a5 hängt, der schwarze Springer ist auf b6 nahezu eingesperrt und auch der schwarze König hat schon bessere Zeiten gesehen. Nach Dxa5 schielt die weiße Dame auf f5. Rein objektiv kann das alles verteidigt werden, aber Schwarz muss extrem genau rechnen, während Weiß relativ entspannt eine Drohung nach der anderen aufstellen kann. Dies ist ein weiteres Beispiel für eine Situation, in der es nur einen richtigen Zug (für Schwarz) gibt und alle anderen Möglichkeiten direkt ins Verderben führen. Eine gute Strategie von Schwarz wäre gewesen, die Situation durch Abtausch von Dame und Turm zu entspannen. Dies hätte höchstwahrscheinlich in ein remisliches Endspiel geführt, etwa in diese Stellung:
Es mag etwas ernüchternd sein, dass beide gezeigten Partien durch Fehler bzw. Patzer entschieden wurde, aber genau darum geht es: Durch strategische Pläne verschaffen wir uns eine immer bessere Position, welche den Gegner dazu bringt, Fehler zu machen. Die Spiele wurden zwar durch solche Fehler entschieden, aber sie wurden durch den strategischen Plan und eine solide Umsetzung dessen provoziert.
Strategisches Manövrieren
Es gibt eine Strategie im Schach, bei der ein Spieler gezielt versucht, die Zeit zu überbrücken oder den Gegner in eine passive Lage zu drängen, ohne dabei sofort eine konkrete Entscheidung oder einen direkten Angriff zu erzwingen. Dies nennt man »Lavieren«. Der Begriff wurde von Aaron Nimzowitsch geprägt. Dabei geht es oft darum, in einer geschlossenen oder festgefahrenen Stellung kleine Verbesserungen der eigenen Position zu erreichen oder den Gegner dazu zu bringen, eine Schwächung seiner Stellung vorzunehmen.
Typischerweise wird laviert, um Schwächen in der gegnerischen Stellung zu provozieren oder um den eigenen Plan vorzubereiten, ohne die Stellung allzu früh zu klären. Es kann auch verwendet werden, um eine ungünstige Verlagerung der gegnerischen Figuren zu erreichen oder um Zeit zu gewinnen, bis ein entscheidender Durchbruch möglich wird.
Im Gegensatz zu einem ziellosen oder zufälligen Manövrieren ist Lavieren eine bewusste und durchdachte Strategie, die darauf abzielt, den Gegner zu Fehlern zu verleiten oder ihn in eine unangenehme Position zu bringen. Dabei kann es durchaus passieren, dass die Figuren mehrfach auf ähnliche Felder ziehen, um den Gegner in Unklarheit über den eigenen Plan zu lassen und gleichzeitig die eigene Stellung zu festigen.
Das Lavieren erfordert ein tiefes Verständnis der Stellung und viel Geduld, da der Spieler darauf wartet, dass der Gegner seine Stellung verschlechtert, bevor eine entscheidende Aktion unternommen wird.
Istvan Dombai gegen Istvan Fodor 2002
Auf den ersten Blick ist der Vorteil von Weiß nicht einfach zu erkennen. Ja, er hat einen Doppelläufer, aber das Zentrum ist verkeilt. Die Idee von Schwarz ist, mit f5 einen Angriff zu starten. Eine weitere Idee wäre, durch Dc8 und a6 einen Angriff auf dem Damenflügel zu starten. Das hätte für Schwarz den Vorteil, erst einmal den Königsflügel zusammenzuhalten. Aber auch solche Ideen sind nicht ohne Risiko: 15…Dc8 16. b4 a6 17. a4 Ld8 18. Ld6 Te8 19. b5
Weiß hat weiter Raum und Aktivität gewonnen.
Fodor entschied sich für 15…f5, sein Gegner zauberte mit 16. f3?! eine Ungenauigkeit aufs Brett, welche einige der Vorteile in den Wind schoss. Doch schwierige Stellungen haben es in sich, dass beide Seiten zu Ungenauigkeiten und Fehlern neigen. 16…Lg5 17. Db3 b6 18. fxe4 fxe4 19. Txf8+ Sxf8 20. cxb6 Dxb6 21. Dc3 Sg6 22. Lg4 Tf8 23. Te1 a5 24. a3 Kh8
Beide Seiten versuchen, die Situation für sich zu verbessern. Weiß muss darauf achten, das Läuferpaar nicht leichtfertig aufzugeben. Schwarz hingegen könnte nun einen Angriff auf dem Königsflügel versuchen, traut sich dies aber nicht zu. 25. Lg3 Le7 26. Tc1 Lg5 27. Kh2 Lh4 28. Ld6 Td8?
Da ist der erste Fehler! 28…Tf6 hätte die Stellung noch gehalten, aber nun bricht Weiß durch. 29. Dxc6 Dxb2 30. Tc2 Db1 31. Le6?! (Dc7 hätte wesentlich mehr Druck erzeugt) 31…De1 32. Lc7?! (schmeißt den Vorteil wieder weg, aber Schwarz nimmt das nicht auf. Dc7 wäre der beste Zug) 32…Tf8?? (Dxe3 wäre gut gewesen) 33. Dc3 Df1 34. Ld6 Lf2??
Diese Stellung ist für Schwarz komplett verloren, da die Dame gegen den Turm fallen wird.
Siegbert Tarrasch, der laut Max Euwe der erste Schachspieler gewesen ist, welcher das Lavieren bewusst eingesetzt haben soll, nannte dies abschätzig »Katz-und-Maus-Spielen«. Die Züge 21 bis 28 dieses Beispiels zeigen gut, was damit gemeint ist.
Gegenspiel auf der anderen Seite
Es gibt im Schach komplexe Stellungen wie diese:
Vladimir Malaniuk gegen Alexander Kochyev 1994
Schwarz steht etwas besser, was vor allem in Raum und Aktivität begründet ist. Die weiße Stellung würde man als »gedrückt« bezeichnen.
Die Musik spielt auf dem Königsflügel, wo Schwarz einen Angriff vorbereiten will. Doch Weiß hat eine Idee: Er will auf der c-Linie durchbrechen. Entscheidend dafür sind zwei Faktoren. Erstens braucht Schwarz noch ein paar Züge, um anzugreifen, und zweitens hat Weiß noch genug Material und Mobilität, um einem Angriff zu begegnen. Was es für den Plan noch braucht, ist etwas Tempo. Wenn es Weiß richtig anstellt, wird es den Gegner unter Druck setzen und zu Fehlern verleiten. 20. Db1 Dd7 21. Kh2 Le6?! (Tcd8 wäre besser gewesen) 22. cxd5 Lxd5 23. Txc8 Dxc8
Wie man sieht, wurde Schwarz trotz leicht besserer Stellung zur Passivität gezwungen. Statt anzugreifen muss reagiert werden. 24. Tc1 De6 25. Sf4 Lxf4 26. gxf4
Schwarz hat nicht mehr viel für einen Angriff auf dem Königsflügel, aber Weiß durch die Beherrschung der c-Linie einen Fuß in der Tür. Nun muss sich Schwarz Gedanken um die Verteidigung machen. 26…Kg7 27. Lf1 b6 (verhindert Tc5) 28. Lc4 Lxc4 29. Txc4 Sd5 30. Dg1 Se7
Objektiv betrachtet ist es immer noch ausgeglichen, aber für Schwarz wird es dennoch haarig. Es droht u. a. Dg5. Außerdem ist unklar, wann Weiß aus dem verteidigenden Springer einen angreifenden macht. Statt aber Dg5 zu spielen, greift Weiß zur Strategie der letzten Lektion: dem Lavieren. 31. Dc1 Sd5 32. Dg1 Se7 33. Db1 Sd5 34. Dc1 Df5 (und …g5 würde nun gewinnen) 35. Sf1
Schwarz hat noch Ideen. 35…h4 droht mit g5! Beispiel: 36. Tc6? g5 37. Dd1 Dd7 38. Tc2 gxf4 und Weiß sieht sich ernsten Drohungen gegenüber. Aber es kommt anders: 36. Dd1! Sf6 37. Sd2 Kh6?! 38. Dg1 Tg8? Jetzt häufen sich die Fehler.
Mit 38…Kg7 hätte Schwarz den Laden noch halbwegs zusammengehalten. Der Turmzug konzentriert sich zwar auf den Königsflügel, öffnet Weiß aber nun alle Türen. Ein klassischer Fall von »rechts antäuschen und links zuschlagen«.
Der Rest ist Technik: 39. Tc6 Sd5 40. Dg4 Kg7 41. Dxf5 gxf5 42. Sc4?! (Td6 wäre genauer) Tb8 43. Td6 b5 44. axb5 Txb5 45. Ta6 a4?
Der Sargnagel für Schwarz. In der Folge wird Weiß einen Mehrbauern haben, die Springer werden abgetauscht und mit der wunderbaren Bauernkette sowie die Unterstützung durch Turm und König kann Weiß den Tag siegreich beenden.
Die entscheidenden Fehler von Schwarz wurden zwar im Endspiel gemacht, die Grundlagen wurden aber von Weiß im Mittelspiel geschaffen. Die Grundidee, den Durchbruch auf der c-Linie zu wagen, ist zwar nicht anspruchsvoll, die Umsetzung dafür umso mehr.
Ungleiche Rochaden
Häufig stellt sich die Frage, ob lang oder kurz rochiert werden soll. Da bei der langen Rochade mit der Dame eine weitere Figur aus dem Weg geräumt werden muss, kommt sie deutlich seltener vor. Doch wenn dies passiert, kann der strategische Plan ein Feuerwerk entzünden, da auf einer der beiden Seiten, manchmal sogar auf beiden Seiten, ein sofortiger Angriff auf den König erfolgt. Die Grundregel lautet dabei: Wer schneller ist, gewinnt!
Da das folgende Beispiel relativ kurz ist, schauen wir uns die ganze Partie an. Sie wurde 1997 zwischen Arkadij Rotstein und Marco Ubezio gespielt. Bereits die Eröffnung (B06 – Moderne Verteidigung) kommt eher selten vor. 1. e4 g6 2. f4 c6 3. d4 d5 4. e5 h5 5. Sf3 Lg4 6. Le3 Sh6 7. Sbd2 Sf5 8. Lf2
Weiß steht etwas besser. Welche Seite einen Punkt holt, ist noch nicht klar, aber ein Remis ist statistisch kaum wahrscheinlich. In den gespielten Spitzenpartien wurden in dieser Stellung 56 % der Partien von Weiß gewonnen, 33 % von Schwarz. 8…e6 9. c3 Sd7 10. Ld3 c5 11. h3 Lxf3 12. Sxf3 Db6 13. Tb1 Le7
Nun geht es an die Rochaden. Für Weiß ist der Fall klar, da er nicht mehr lang rochieren kann. Die Königsstellung ist dafür sicher genug. Für Schwarz ist die Situation nicht ganz so eindeutig. Er hat die Absicht, direkt auf dem Königsflügel anzugreifen und rochiert dafür lang. Das sollte sich als keine gute Idee herausstellen. 14. O-O O-O-O?! (14…c4 oder 14…Tc8 wären besser gewesen) 15. De2 Kb8 16. b4 (Weiß legt los wie die Feuerwehr) cxb4? (das Aus für Schwarz) 17. cxb4
Die c-Linie ist offen, Weiß hat die Initiative und Rotstein spielt das großartig weiter. 17…Tc8 18. a4 Tc3 (natürlich nicht 18…Lxb4 19. a5 (19. Lb5 Tc7) 19…Dxa5 (19…Lxa5 20. Txb6 Sxb6 21. Sg5) 20. Db2) 19. a5 Dc7 20. Tfd1 Dd8 21. Dd2 Tc8 22. b5 Sh4 (noch ein verzweifelter Versuch, irgendetwas auf dem Königsflügel zu machen, 20…Dd8 sollte das vorbereiten)
Schwarz kann den Angriff nicht stoppen und hat sich durch das Manöver mit Dame und Springer selbst geschwächt. 23. Sg5 Lxg5 24. fxg5 Sf5 25. b6 a6 26. Tdc1 De7? (ein weiterer Fehler von Schwarz) 27. Tc7 (Hinlenkung) Txc7 28. bxc7+ Kxc7 29. Dc3+ Kb8 30. Lxa6 Ka7?! (Schwarz hat schwache schwarze Felder) 31. Txb7+ Kxa6 32. Dc6+
Schwarz gibt auf, da nach 32…Sb6 Dxb6# folgt.
Auch wenn die Strategie sehr verbreitet ist, ist die Situation nicht immer so eindeutig. Ein besserer Spieler hätte sich womöglich auch besser dagegen gewehrt, aber das auch die Weltklasse unter Druck Fehler macht, haben wir ebenfalls hinreichend gesehen. Aus der Praxis gibt es auch genügend Beispiele für Angriffe auf beiden Seiten. Das wichtigste Gebot heißt aber: Tempo!
Vorposten
Das Konzept eines Vorpostens wurde bereits im letzten Kapitel angesprochen. Es ist aber derart wichtig, dass ich es noch einmal gezielt behandeln möchte.
Der Vorposten ist ein Konzept, das sich auf einen strategisch wichtigen Punkt auf dem Schachbrett bezieht, insbesondere auf ein Feld, das von einem Bauern nicht mehr angegriffen werden kann und auf dem eine Figur, meistens ein Springer, sicher platziert werden kann. Statt konkrete Partien zu zeigen, verwende ich hier lieber mehrere Diagramme, damit sich das Muster bzw. Prinzip besser einprägt.
Hier hat der Springer auf d5 einen klassischen Vorposten
Hier ist der Vorposten auf f5
Ein Vorposten ist normalerweise ein Feld, das von einem eigenen Bauern geschützt wird. Dies gibt der Figur, die auf dem Vorposten steht, zusätzlichen Schutz.
Vorposten sind besonders vorteilhaft für Springer, da diese auf einem solchen Feld ihre maximale Beweglichkeit und Angriffskraft entfalten können. Ein Springer auf einem Vorposten kann mehrere wichtige Felder des Gegners kontrollieren, was ihn zu einer sehr starken Figur macht.
Solche Vorposten befinden sich oft in der Mitte des Schachbretts oder auf fortgeschrittenen Positionen in der gegnerischen Hälfte, da diese Positionen strategisch besonders wertvoll sind. Ein zentraler Vorposten kann das Spiel dominieren, indem er wichtige Linien und Felder kontrolliert. Ein Vorposten entsteht oft, wenn der Gegner Schwächen in seiner Bauernstruktur hat, zum Beispiel durch das Vorrücken seiner eigenen Bauern, was zu unkontrollierten Feldern führen kann.
Ein Vorposten kann über mehrere Züge bestehen bleiben oder gleich wieder aufgelöst werden, sofern der taktische oder strategische Vorteil größer ist als der Vorposten selbst. Beispiel:
Sxg7 oder Sg3 wären besser, als den Vorposten auf f5 zu halten, da der schwarze Läufer den Springer schlagen und somit die solide Bauernstruktur von Weiß ruinieren kann. Damit wäre der aktuelle Vorteil von Weiß dahin.
Dieses Beispiel zeigt eine Position, in der der Springer auf f5 ein Stachel in der schwarzen Verteidigung ist und dies noch lange bleiben wird.
Hier hat Schwarz seinen Vorposten auf d4 errichtet. Das passiert häufig nach der englischen Eröffnung. Die Stellung ist ausgeglichen, aber Weiß muss unheimlich aufpassen und ist bestrebt, den Springer so schnell wie möglich abzutauschen oder anders zu vertreiben.
Das funktioniert auch mit Läufern, wie hier auf d5 zu sehen. Formationen wie hier zwischen Läufer und Bauer e4 gelten ohnehin als »sehr stabil«, da sich die Figuren gegenseitig decken. Hier ein weiteres Beispiel:
Auch hier hat Weiß einen Vorposten auf d5. Der Läufer ist extrem dominierend. Schwarz hingegen hat mit Läufer auf f4 keinen Vorposten, da er durch g3 angegriffen werden kann.
Zum Schluss noch ein besonderer Kampf um das Feld d5:
13. Sed5 bxc4 14. dxc4 Lf5 15. Sxe7+ Sxe7 16. Le4 Le6 17. Sd5 Sxd5 18. Lxd5 Lf5 19. e4 Lh3 20. Te1 a5
Der Vorposten hatte wechselnde Besitzer, aber am Ende hat ihn der weiße Läufer sicher erobert und strahlt von dort sehr viel Kraft aus.
Turmangriffe
Angriffe durch Türme kennt man vor allem aus Endspielen, sie kommen jedoch auch im Mittelspiel vor.
Yair Kraidman gegen Lev Gutman 1984
Weiß ist es gelungen, im 22. Zug die offene d-Linie mit beiden Türmen zu besetzen. Damit kann Weiß Drohungen aufstellen, wie sie aus dem Endspiel bekannt sind. Die Türme dominieren das Zentrum, sie können auf der 7. Reihe Druck machen, die Linien hinterlaufen und bspw. a5 angreifen. Weiß verliert auch keine Zeit, dies auszunutzen. 23. Td7 De4 24. Dg4 (ebenfalls gut wäre 24. Da6) 24…Tf5?! (führt Schwarz ins Verderben 24…Lf6 wäre die richtige Wahl gewesen)
Schwarz denkt, wenn die weiße Dame abgeschnitten ist, ist die Situation bereinigt. Das Gegenteil ist der Fall. Weiß spielt das leider nicht ganz korrekt aus, aber perfekt wäre gewesen: 25. Ta7 Lf6 26. Dg2 Dxg2+ 27. Kxg2 g5 28. fxg5 Txg5+ 29. Kf1 Ld8 30. Tdd7 und wir befinden uns in einer sehr guten Endspielsituation für Weiß. 25. Dg2 Dxg2+ 26. Kxg2 g5?! 27. fxg5 Txg5+ 28. Kf1 Th5 29. Ta7 Txh2?! 30. Td5?! Th6
Da beide etwas danebengreifen, ist es nicht perfekt, aber gut genug, damit Weiß den Sack zumachen kann. Der Rest ist Endspieltechnik. Weiß hat den Raum, die Mobilität und verglichen mit dem schwarzen König steht der eigene relativ gut dran.
Dieses Beispiel soll vor allem zeigen, dass solche Manöver bereits im Mittelspiel passieren können, sobald eine Linie offen ist. Die Methoden entsprechen dann denen von Endspielen.
Qualitätsopfer
Opfer im Schach kommen regelmäßig vor, sind aber häufig mit einem Risiko verbunden, wenn keine konkrete Mattkombination vorliegt. Doch auch hier gibt es oft Muster. Wenn man diese erkennt, lässt sich das Risiko besser kalkulieren. Ein sehr bekanntes Opfer ist der Turm auf c3. Er wird von Schwarz in der Sizilianischen Eröffnung gespielt. Das Motiv sieht so aus:
IsaakBoleslavsky gegen Efim Geller 1953
Weiß hat lang rochiert, der König steht entweder auf c1 oder b1. Der Turm auf c8 schlägt den Springer auf c3, um die Verteidigung massiv zu schwächen. 15…Txc3 16. bxc3 Da5 17. De3 Da3 (17…Tc8 wäre ebenfalls stark gewesen, ebenso 17…Le6)
Weiß steht immer noch leicht besser und hat genug Material für die Verteidigung. Aber der Druck steigt, was zu Fehlern führt. 18. h5? (18. Le2 hätte die Stellung gehalten) 18…b4?? (Schwarz steht aktiver, gibt aber den Vorteil auf 18…Sxf3 hätte für mehr Probleme gesorgt: 19. Dxf3 Lxg4 20. De3 Lxd1 21. hxg6 fxg6 22. Lh3 Lg4 23. Lxg4 Sxg4 24. Dg5) 19. Dc1 Dxc3 20. Db2 Tc8?! (20…Sxf3 21. Dxc3 bxc3 22. Sxf3 Lxg4)
Beide Seiten spielen es nicht ganz sauber aus. 18. h5? soll einen Gegenangriff einleiten. Bereits einen Zug später merkt Weiß, dass das sinnlos ist. Nachdem auch Schwarz nicht auf der Höhe ist, greift Weiß auf den ursprünglichen Plan zurück. 21. hxg6 Dxb2+ 22. Kxb2 hxg6 23. a3?! (besser ist 23. g5 Sh5 24. Th4) 23…bxa3+ 24. Kxa3 Sxf3 25. Sxf3 Tc3+
Weiß hat Materialvorteil, die Stellung ist ausgeglichen, aber wer würde in dieser Position lieber mit Schwarz spielen? Sie dürfen die Hand wieder runternehmen. 26. Kb2 Txf3 (materiell ist wieder alles ausgeglichen) 27. e5 Sxg4 28. Le2 Tf2 29. Lxg4 Lxg4
Habe ich erwähnt, dass Spieler, die unter Druck stehen, dazu neigen, Fehler zu machen? Weiß demonstriert dies mit 30. Tdf1?? Mit Td4 hätte Weiß die Stellung noch gehalten, aber ein Turmtausch in dieser Position war keine gute Idee. 30…Txf1 31. Txf1 dxe5 32. c4 Kf8? (die Idee ist nachvollziehbar, aber nicht gut 32…f6 33. Tg1 Lh5) 33. Ta1? (ein Fehler, der zur Niederlage führt 33. c5 wäre besser gewesen) 33…Lf3
Ab hier ist das Endspieltechnik. Weiß kann den Vormarsch der Bauern nicht aufhalten und gibt einige Züge später auf.
Schauen wir ein zweites Beispiel an:
Evgeni Vasiukov gegen Isaak Boleslavsky 1956
Es beginnt mit dem Opfer: 16…Txc3 17. Dxc3 Dxa2 18. Da3 Dxa3 19. bxa3 d5 20. exd5 Lxa3+ 21. Kd2 Sxd5 (und …Lb4+ würde nun gewinnen) 22. Lf3 Sxf4 23. Txf4 Td8+
Nüchtern betrachtet hat Schwarz nur einen leichten Vorteil, aber auch hier würde sich kaum ein Spieler freiwillig für Weiß entscheiden. Tatsächlich macht Weiß den entscheidenden Fehler erst im Endspiel. Die Grundlagen wurden von Schwarz durch die strategische Idee gelegt.
Beim Thema »Qualitätsopfer« darf natürlich die wahrscheinlich berühmteste Partie aller Zeiten nicht fehlen: die Partie des Jahrhunderts zwischen Donald Byrne und Bobby Fischer. Sie wurde am 17. Oktober 1956 in der Rosenwald-Gedenkpartie in New York gespielt, als Fischer erst 13 Jahre alt war. Fischer spielte Schwarz und gewann die Partie in beeindruckender Manier. Wir schauen uns die ganze Partie an: 1. Sf3 Sf6 2. c4 g6 3. Sc3 Lg7 4. d4 O-O 5. Lf4 d5 6. Db3 dxc4 7. Dxc4 c6 8. e4 Sbd7?!
Eine Ungenauigkeit des jungen Fischers. 8…Da5 wäre präziser gewesen, aber es sollte folgenlos bleiben. 9. Td1 Sb6 10. Dc5?! (günstiger ist 10. Db3) 10…Lg4 11. Lg5?? Dies ist der erste Fehler von Weiß. Anstatt seine Figuren sicher zu entwickeln, bringt Byrne seinen Läufer ins Spiel, was Schwarz ermöglicht, das Spiel mit einem starken taktischen Zug zu öffnen. 11. Le2 wäre besser gewesen, um Entwicklung und Rochade voranzutreiben. Beispiel: 11. Le2 Lxf3 12. Lxf3 Sfd7 13. Da3 e5 14. dxe5 Te8 15. O-O
Stellung nach 11. Lg5??
Nun entfaltet sich die Brillanz: 11…Sa4! (Doppelangriff! Fischer startet hier eine Reihe taktischer Züge, die Weiß vor Probleme stellen. Der Springer greift die Dame auf c5 an und stellt gleichzeitig eine Falle) 12. Da3 Sxc3 13. bxc3 Sxe4 (Schwarz hat nun einen Bauern gewonnen und Weiß hat eine schwache Bauernstruktur) 14. Lxe7?! (Byrne entscheidet sich, das Zentrum zu öffnen und auf Materialausgleich zu spielen) Db6 15. Lc4
Gleich zeigt sich Fischers Opferbereitschaft: 15…Sxc3! (dies ist ein brillanter Zug von Fischer. Schwarz opfert den Turm auf f8 (ein Qualitätsopfer) im Austausch für den weißen Läufer auf e7 und nutzt die Taktik, um die Dame auf b6 aktiver zu positionieren.) 16. Lc5 (Byrne fällt nicht darauf rein und macht den besten Zug) Tfe8+ (hier beginnt der entscheidende Angriff. Schwarz bringt seinen Turm mit Tempo ins Spiel, zwingt den weißen König zur Bewegung und schafft ein starkes Angriffspotenzial.) 17. Kf1 Le6!!
Schwarz steht klar besser, auch wenn Dame und Springer hängen. Tatsächlich ist die Dame eine Falle, auf die Byrne – jetzt schon massiv unter Druck stehend – reinfällt. 18. Lxb6?? ist ein weiterer kritischer Fehler von Weiß, der das Material holt, um den Druck zu verringern. Hier hätte Weiß den Springer auf c3 nehmen sollen, um den Schaden zu minimieren. Nun beginnt ein Feuerwerk: 18…Lxc4+ 19. Kg1 Se2+ 20. Kf1 Sxd4+ 21. Kg1 Se2+ 22. Kf1 Sc3+ 23. Kg1 axb6 (Abzugsangriff. Weiß ist schwach auf den weißen Feldern)
Obwohl Weiß immer noch leichten materiellen Vorteil hat, ist die Stellung komplett verloren. Und Fischer lässt nicht locker: 24. Db4 Ta4 25. Dxb6 Sxd1 26. h3 Txa2 27. Kh2 Sxf2 28. Te1 Txe1 29. Dd8+ Lf8 30. Sxe1 Ld5 31. Sf3 Se4
Byrne weiß schon lange, dass er verloren hat, aber aus Respekt vor Fischers Leistung spielt er die Partie zu Ende. 32. Db8 b5 (droht stark …b4) 33. h4 h5 34. Se5 Kg7 35. Kg1 (das Matt ist nun in Sichtweite) Lc5+ 36. Kf1
Fischer spielt es nicht 100%ig genau: 36…Sg3+ 37. Ke1 Lb4+ (…Lb3 ginge schneller) 38. Kd1 Lb3+ 39. Kc1 Se2+ 40. Kb1 Sc3+ 41. Kc1 Tc2#
Dieses Qualitätsopfer zeigt, dass Materialvorteile nicht immer entscheidend sind, sondern dass die Aktivierung der eigenen Figuren und die Schaffung von taktischen Möglichkeiten oft viel wichtiger sein können.
Bauernopfer
Weniger spektakulär als das Qualitätsopfer ist das Bauernopfer. In zahlreichen Partien hat sich gezeigt, dass bereits ein Bauer weniger den Ausgang des Spiels entscheiden kann. Dennoch gibt es auch Stellungen, in denen ein solches Opfer gerechtfertigt ist. Die Argumente für ein Bauernopfer sind meist ein Entwicklungsvorsprung oder das Erzeugen struktureller Schwächen beim Gegner. Das Risiko ist in den meisten Fällen deutlich geringer als bei einem Qualitätsopfer, doch wenn die Partie am Ende verloren geht, war es dennoch zu hoch.
Während die häufigsten Opfer im Schach kurzfristigen Plänen folgen und somit einen unmittelbaren Effekt zeigen müssen, ist dies bei Bauernopfern nicht immer der Fall. Sie können sofort einen Vorteil bringen, doch manchmal entfaltet sich die beabsichtigte Wirkung erst im Endspiel.
Daniele Vocaturo gegen Sebastian Siebrecht 2011
Weiß steht besser. Der schwarze König hat noch nicht rochiert und es gibt zwei halboffene Linien (c und d). Die Idee besteht darin, mit einem Bauernopfer im Zentrum Linien zu öffnen. 9. e5 dxe5 10. fxe5 Dxe5?!
Schwarz nimmt das Opfer an. Nun beginnt zunächst eine Hatz auf die schwarze Dame, während Weiß seine Figuren immer besser positioniert. 11. Sb3 Sbd7 12. Lf4 Dh5 13. Le2 Dh4 14. g3 Dh3 15. Dd4 Lg7
Weiß hat es geschafft, die schwarze Dame aus dem Spiel zu nehmen und die eigenen Figuren, bis auf die Springer, in Position gegen den König zu bringen. In der realen Partie spielt es Weiß nun leider etwas schlampig, also schauen wir uns jetzt lediglich die besten Züge an: 16. Ld6 verhindert die Rochade und ist ein guter Vorposten für den Läufer, auch wenn die Rückendeckung durch einen eigenen Bauern fehlt. 16…h5 17. Tf2 e5 18. Da4 Tb8 19. Lxb8 b5 20. Da5 h4 21. gxh4 O-O. Schwarz muss schon Material opfern, um den König in Sicherheit zu bringen.
Da dieses Muster sehr häufig vorkommt, möchte ich ein zweites Beispiel aus einer fast identischen Stellung zeigen.
Nikola Sedlak gegen Dejan Nestorovic 2014
Beide Positionen entstammen übrigens der sizilianischen Verteidigung, können aber auch aus anderen Eröffnungen entstehen. Hier haben wir die gleiche Zugkombination, allerdings einen Zug später: 10. e5 dxe5 11. fxe5 Dxe5
Obwohl die Stellung fast identisch ist, steht Schwarz hier wesentlich besser. U. a., weil der König gleich rochieren und die Dame den Angriffen mühelos ausweichen kann. Weiß probiert es dennoch: 12. Lf4 Dh5 13. Le2 Dg6?! (Weiß steht nun aktiver. 13…Dh4 wäre die bessere Wahl gewesen) 14. h4 (Schwarz muss nun h5 beachten) 14…h5 15. Lg5 (Ld3 ist eine echte Drohung) 15…Sg4?
Ab hier hat Schwarz verloren. 15…Dh7 hätte die Partie noch offener gehalten. Leider spielt es Weiß in der Folge etwas schlampig, aber mit 16. Lxe7 Kxe7 wäre es eigentlich schon vorbei, auch wenn Schwarz immer noch den Mehrbauern hat. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass eine an sich ausgeglichene Stellung von dem Spieler gewonnen wird, der mehr Druck ausübt und so den Gegner zu Fehlern zwingt.
Bauernsturm
Insbesondere wenn sie Schwarz haben, werden Sie einige Bauernstürme auf den eigenen König erleben.
Leonid Stein gegen Vassily Smyslov 1972
Die Stellung ist vollkommen ausgeglichen. Obwohl beide noch nicht rochiert haben und die Stellung auf dem weißen Damenflügel für den König recht unfreundlich aussieht, entscheidet sich Stein richtigerweise für den Vormarsch des h-Bauern. 10. h4! Sd7 11. h5 Lxf3?! (11…h6 wäre zur Verteidigung besser gewesen, Smyslov wollte wohl einen potentiellen Angreifer loswerden) 12. Dxf3 dxe5 13. h6!
Schwarz steht nun vor der Wahl. 13…g6 hält die Bauernstruktur, aber h6 bleibt der ewige Stachel. Dann besser 13…gxh6 14. Lxh6 ist okay, auch wenn 14. Le2 genauer gewesen wäre. Weiß steht dennoch besser, die schwarzen Türme sind vorerst abgemeldet. 14…exd4 15. Lg7 Tg8 16. Txh7 Sf5 17. Lxd4
Was soll Schwarz tun? 17…Sxd4 geht nicht, da 18. Df7# folgt. Obwohl die Stellung analytisch immer noch ausgeglichen ist, fällt eine genaue Verteidigung für Schwarz schwer. Und das ist immer eine gute Gelegenheit, um Fehler zu machen. 17…c5?! leitet die Fehlerkette ein. 17…Tc8 und vor allem 17…Sf8 wären deutlich besser gewesen. Vor allem der Springer hätte den Laden zusammengehalten. Weiß antwortet kühn mit 18. g4!. Schwarz fällt darauf rein und greift wieder daneben. 18…gxd4 19. gxf5 und Schwarz ist in ernsten Schwierigkeiten. 19…e5? 20. Dd5!
Auch wenn in Folge beide nicht genau spielen, ist die Position nicht mehr zu verteidigen.
Selbst auf dem höchsten Niveau wird ein Bauernvorstoß als strategisches Mittel eingesetzt, selbst wenn es nicht der beste Zug ist.
Nigel Short gegen Anatoli Karpow 1992
Der beste Zug wäre hier 19. Ld3. Short entscheidet sich für 19. h4. Karpow rochiert trotzdem kurz, da die Stellung haltbar ist. 19…O-O 20. Ld3 (jetzt wäre Dd3 besser) 20…Td7?!
Der richtige Weg wäre 20…Lc3 21. Lxc3 Dxc3 gewesen. Short erhöht nun den Druck auf dem Königsflügel. 21. Tf4 g6 22. h5 Le7 23. hxg6 hxg6
Short hält 24. Le4?! für eine gute Idee. 24. g3 wäre deutlich besser gewesen. Doch auch Karpow hat nicht seinen besten Tag und denkt, mit 24…Sg7 könnte er die Verteidigung aufrecht halten. Dabei hätte diese Kombination in ein Remis geführt: 24…Scxd4 25. Sxd4 Dxe5 26. Dg4 Sxd4 27. Lxg6 Dxf4 28. Lxf7+ Kh7 29. Dg6+ Kh8 30. Dh5+. Es kam aber 25. Tg4 Tfd8 26. Dc1 Sf5
Doch leider spielt auch Short die Stellung nicht richtig aus, was zeigt, wie komplex solche Verwicklungen im Mittelspiel sein können. Da nun beide häufiger daneben liegen, zeige ich lieber eine der besseren Varianten für Weiß: 27. Lxf5 exf5 28. Tg3 Dd5 29. Th3 Lf8 30. Dg5 Da2 31. Dh4 Lg7 32. Dh7+ Kf8 33. Sd2 Dd5 34. La3+ Se7
Es ist eindeutig, worauf es hinauslaufen wird. Der Angriff über den Königsflügel war vor allem durch den vorstürmenden h-Bauer möglich. In der realen Partie gewann Short ebenfalls, allerdings etwas umständlicher.
Auch Karpow weiß einen Bauernsturm einzuleiten, wie die folgende Partie zeigt.
Anatoli Karpow gegen Mark Taimanov 1972
Relativ am Ende des Mittelspiels sieht Karpow die Zeit gekommen. 26. h4 h6 27. g4 Db7 (27…De8 wäre zur Verteidigung besser gewesen) 28. h5 (28. g5 wäre genauer 28…hxg5 29. hxg5 axb3 30. axb3) 28…Sc6?! und hier liegt Schwarz daneben. 28…Tc8 wäre einen Versuch wert gewesen.
Mark Taimanow war kein Trottel. Er war ein russischer Großmeister und Pianist, der in der Schachwelt hoch geachtet wurde, vor allem als Eröffnungstheoretiker. Trotz einer schweren Niederlage gegen Fischer im Jahr 1971 – damals hatte er mit 2600 Elo sogar seine beste Zeit – blieb er eine einflussreiche Figur im Schach und hinterließ ein bedeutendes Erbe als Autor und Schachtheoretiker. Und auch ihm unterliefen Fehler, auch wenn es eines Karpows bedurfte, um diese zu provozieren. 29. g5! Sxd4 30. Sxd4 hxg5? Danach kann Schwarz die Partie nicht mehr halten.
Die Lösung wäre 30…Kh7 gewesen. So aber sind Haus und Hof verloren und der nächste Fehler sollte nicht lange auf sich warten lassen. 31. Dxg5 (beabsichtigt h6 und Matt) Kh7 32. Tc3 Db4 33. Tg3 Tg8 34. Sf3 axb3 35. axb3 Dxb3?? Und aus!
35…Le8 36. Kg2 Lb5 hätte Schwarz noch halbwegs am Leben gehalten. 36. Dc1 (Weiss droht Sg5+ und Matt) 36…Da2?? 37. Sg5+ (Weiß hat das Matt vor Augen) 37…Kh8 38. Sxf7+ Kh7 39. Dg5 Db1+ 40. Kh2 und Taimanov gibt bei Matt in 2 Zügen auf.
Unrochierter König
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass einer der beiden Könige nicht rochiert. Ein solches Beispiel konnten Sie bereits bei der Partie des Jahrhunderts (s. o.) anschauen. Dann gibt es die eher seltene Konstellation, dass beide Seiten nicht rochieren.
Generell lässt sich in solchen Fällen sagen, dass mehrheitlich eine der bereits erwähnten Strategien zur Anwendung kommt. Je nach Position werden entsprechende Vorstöße über die Flügel oder sogar durch die Mitte vorgetragen.
Als erstes Beispiel soll eine Partie von William Lewis aus dem Jahr 1818 gegen einen unbekannten Gegner dienen. In dieser Form könnte sie heute auch in zahlreichen Online-Blitzpartien stattfinden. Das heißt so viel wie: Die Partie lebt von ihren Fehlern und unorthodoxen Zügen. Die Grundidee von beiden Seiten besteht darin, den gegnerischen König an der Rochade zu hindern und möglichst früh anzugreifen.
Weiß beginnt mit dem Königsgambit: 1. e4 e5 2. f4 exf4 3. Lc4?! (3. Sf3 wäre vorzuziehen) 3…Dh4+ 4. Kf1 d6 5. c3?! (blockiert den eigenen Springer) 5…Sc6 6. d4 De7?!
Die Rochade für Weiß hat sich bereits erledigt. 6…Sf6 wäre für Schwarz noch besser gewesen, 6…g5 wäre ebenfalls eine schöne Fortsetzung. So büßt der Nachziehende etwas an Entwicklung und Aktivität ein, steht aber immer noch besser als Weiß. 8. Lxf4 Sxe4 (8…Dxe4 9. Lxf7+ Kd8 (9…Ke7 10. Dd2) wäre ebenfalls möglich gewesen) 9. Sbd2 Lf5 10. Sxe4 Lxe4 11. Db3?
Sehr ärgerlich für Weiß. 11. Sg5 d5 12. Sxe4 Dxe4 wäre spannend geworden. Nach 11. Db3? hätte Schwarz lang rochieren sollen, stattdessen kommt der entscheidende Fehler: 11…Sd8?? 12. Te1 f5 13. Sg5 b6?? (noch ein Patzer, 13…c6 hätte noch irgendetwas verteidigt) 14. Ld5 c6 15. Lxe4 fxe4 16. Txe4 Dxe4 17. Sxe4 Le7 18. Sxd6+ Kd7 19. Dd1?! h5?
Die Situation ist eindeutig: Weiß hat materiellen Vorteil, der schwarze König steht dran, als würde er auf seine eigene Hinrichtung warten und es bedarf keiner großen Schachkunst mehr von Weiß, um zu gewinnen. Die lag auch nicht vor, weshalb Weiß noch zwölf Züge benötigte, bis Schwarz aufgab. Da wir das Wesentliche gesehen haben, brechen wir an dieser Stelle ab und kommen zum nächsten Beispiel.
Das Spiel Aleksandar Babev gegen Milko Popchev aus dem Jahr 1986 lehrt uns gleich mehrere Dinge. Babev hatte mit Weiß 115 Elo weniger, hat das Spiel aber trotzdem vom ersten bis zum letzten Zug dominiert. Aus der englischen Eröffnung heraus kommt es ebenfalls zu einer Situation, in der beide Seiten nicht rochieren. Hier greift außerdem eine alte Regel: Wenn die Damen abgetauscht wurden, besteht häufig keine Notwendigkeit mehr für eine Rochade.
Strategisch gesehen gehen beide sehr unterschiedliche Wege. Während Schwarz relativ aggressiv versucht, Weiß an der Rochade zu hindern, und direkt den König angreift, versucht Weiß über positionelles Spiel und einen Angriff am Damenflügel Vorteile zu erlangen. Babev sollte richtig liegen. 1. c4 Sf6 2. Sc3 c5 3. g3 d5 4. cxd5 Sxd5 5. Lg2 Sc7 6. d3 Sc6 7. Lxc6+ bxc6
Weiß steht etwas besser. Insbesondere die Bauernstruktur macht Hoffnung. 8. Sf3 (pariert e5) 8…Lh3?! (vorzuziehen ist 8…f6) 9. Da4! (Weiß steht nun deutlich besser) 9…Dd7 10. Se5 De6 11. Sxc6 (droht stark Se5+) 11…Dd7 (droht …Lg2) 12. Se5 (Fesselung, Abzugsangriff) 12…Dxa4 13. Sxa4
Die Damen sind vom Brett und Weiß steht nun ziemlich deutlich besser. 13…f6 14. Sc4 e5 15. Le3 Se6 16. Sa5 Tc8 17. Tc1 Kd7?!
Es ist eindeutig, dass Weiß auf dem Damenflügel besser steht und hier ein Angriff erfolgen wird. 17…Kf7 wäre deutlich besser gewesen. 18. f3 Sd4 19. Sb7 c4 20. dxc4 Tc7 21. Sa5?! (zielt auf Lxd4 ab) 21…Lg2? (und hier ist die Entscheidung gefallen 21…Lb4+ 22. Ld2 Tb8 hätte die Stellung noch halbwegs gehalten) 22. Tg1 Lb4+ 23. Ld2 Lxd2+ 24. Kxd2 Lxf3 25. exf3 Sxf3+ 26. Ke3 Sxg1 27. Txg1
Schwarz findet sich in einem verlorenen Endspiel wieder. Die Bauernmajorität am Königsflügel wird keine entscheidende Rolle mehr spielen. 27…Tb8 28. a3 (wehrt Tb4 ab) 28…Ke6 29. Td1 h5 30. b4 Th8 31. c5 h4 32. g4 h3?! 33. c6 und Schwarz gibt auf.
Typische Fehler im Mittelspiel
Die meisten Fehler entstehen im Mittelspiel. Selbst wenn eine Partie erst im Endspiel entschieden wird, werden die entscheidenden Grundlagen oft bereits im Mittelspiel gelegt. Wie so oft versuche ich auch hier, allgemeine Überlegungen und Ursachen zu finden. Gehen wir zu sehr ins Detail, stoßen wir auf Situationen, die ebenso gut in der Eröffnung oder im Endspiel hätten auftreten können. Daher halte ich eine allgemeine Betrachtung der typischen Fehler für sinnvoller, damit wir uns auf das Wesentliche konzentrieren können, ohne uns in detaillierten Stellungsanalysen zu verlieren.
Fehlendes Selbstvertrauen
Im Prinzip gilt dies für das gesamte Spiel und darüber hinaus, aber im Mittelspiel wird es besonders deutlich. Für viele der gezeigten Strategien, wie etwa Opfer oder den Vorstoß mit h4, braucht es Mut und entsprechendes Selbstvertrauen.
Selbstvertrauen ist eine komplexe Angelegenheit, da wir alle sehr individuell sind. Im Laufe der Zeit habe ich drei Ansätze entwickelt, die mir und einigen anderen Spielern geholfen haben. Wenn Sie ein ähnliches Problem haben, kann es jedoch sein, dass diese Ratschläge nicht helfen und Sie Ihren eigenen Weg finden müssen, um Ihr Selbstvertrauen zu stärken.
Spielpraxis: Je mehr Sie spielen, desto routinierter werden Sie. Das schafft eine solide Basis für Ihr Selbstvertrauen im Schach.
Vergangene Erfolge: Denken Sie an Ihre Siege, spektakuläre Patts oder erfolgreiche Taktiken, die Sie im Spiel angewendet haben. Versuchen Sie, Niederlagen und Fehler möglichst auszublenden. Diese passieren jedem Spieler, wie dieses Buch an vielen Stellen zeigt. Jede taktische Aufgabe in diesem Buch entspringt einem vorangegangenen Fehler. Aber alle Erfolge sind Ihre persönlichen Erfolge.
Es ist nur ein Spiel: Unabhängig davon, wie gut oder schlecht Sie spielen, sagt das nichts über Sie als Person aus. Seien Sie mutig, denn es macht mehr Spaß – auch wenn man verliert. Selbst wenn Sie ein Turnier verlieren, ist es wesentlich angenehmer, es aufgrund mutiger Entscheidungen verloren zu haben als wegen Feigheit.
Und falls das noch nicht hilft: Sie lesen gerade ein großartiges Schachbuch und bereiten sich so auf kommende Partien vor. Da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Mangel an Strategiewechsel
Eine schlechte Strategie ist bekanntermaßen besser als gar keine. Doch irgendwann sollte man erkennen, wenn eine Strategie nicht funktioniert. Dann ist ein Wechsel notwendig, der jedoch leider oft ausbleibt.
Es erfordert Mut, einen gefassten Plan aufzugeben. Aber im Schach spielt Stolz keine Rolle, sondern nur das Ergebnis. Wenn Sie also feststellen, dass Ihre Strategie nicht aufgehen wird, entwickeln Sie einen neuen Plan. Dieser wird wahrscheinlich eher zum Erfolg führen.
Zu früher Strategiewechsel
Auch das Gegenteil kommt vor: Man entwickelt eine Strategie, beginnt mit ihrer Umsetzung, sieht jedoch nicht sofort Erfolge. Daraufhin wird planlos gewechselt, oder es gibt am Ende gar keine Strategie mehr.
Eine festgelegte Strategie sollte erst dann geändert werden, wenn eindeutig ist, dass sie scheitern wird. Bis dahin sollten die Ziele konsequent weiterverfolgt werden.
Ignorieren des gegnerischen Plans
Die eigenen Pläne sind wichtig, aber man sollte stets im Auge behalten, was der Gegner tut – schließlich spielt man nicht Tennis gegen eine Wand. Dies beginnt bereits, bevor man die eigene Strategie festlegt: Was könnten die Pläne des Gegners sein? Wie würde ich mich selbst angreifen? Diese Überlegungen bringen zugleich die eigenen Schwächen ans Licht. Daraufhin entwickelt man einen eigenen Angriffsplan und prüft, ob dieser stärker ist als der mögliche Plan des Gegners. Ist das der Fall, wird der eigene Plan ausgeführt. Andernfalls müssen zuerst die eigenen Schwächen behoben werden.
Dieser Prozess ist kontinuierlich. Mit jedem Zug des Gegners muss überprüft werden, ob sich dessen Pläne möglicherweise geändert haben. Im besten Fall reagiert der Gegner auf die eigenen Pläne, was die eigene Initiative fördert. Im schlimmsten Fall hat er einen neuen Plan, der möglicherweise besser ist als der eigene.
Übersehene Taktiken
Bei allen strategischen Überlegungen darf man die Taktik nicht außer Acht lassen. Der beste Plan nützt nichts, wenn man in wenigen Zügen mattgesetzt wird oder entscheidende Figuren verliert. Dies passiert – besonders unter Zeitdruck – häufig, sogar erfahrenen Spielern. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte vor jedem Zug auf Drohungen und taktische Motive geachtet werden. Mit der Zeit wird Ihnen das in Fleisch und Blut übergehen.
Vernachlässigung von Übergängen ins Endspiel
Es ist ein bekanntes Problem: »Nur noch ein paar Figuren abtauschen, dann gewinne ich im Endspiel.« Nach dem Abtausch stellt man jedoch fest, dass die erreichte Position nicht haltbar ist. Deshalb sollte dem Übergang ins Endspiel besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.