Der Mehrbauer

Bevor es ans Eingemachte geht, möchte ich eine Position von einem meiner Spiele zeigen. Ich hatte Weiß.

Es war ein Spiel gegen Stockfish (auf 1900 Elo eingestellt) das ich spielte. Rein materiell hatte ich nur einen Bauern mehr und wir waren bereits im 43. Zug. An dieser Stelle war ich mir absolut sicher zu gewinnen. Das lag einerseits am Mehrbauern, andererseits an der Struktur. Am Damenflügel hat Weiß einen Freibauern, auf dem Königsflügel vier verbundene Bauern, die vom Turm unterstützt werden. Sehen wir uns an, wie die Partie verlief.

Entgegen Ihrer Erwartung hat der Mehrbauer nicht geholfen, um eine Dame zu erhalten, aber er half dabei, den schwarzen Turm zu bekommen. Mehr war in diesem Endspiel nicht nötig. In den nachfolgenden Beispielen geht es, wie in vielen Lektionen des Endspiels, vor allem darum eine Dame zu erhalten. Die Spielpraxis zeigt aber, dass die Situationen sehr komplex sein können und nicht immer das Idealziel erreicht werden kann. Dies wollte ich Ihnen hiermit zeigen, aber zurück zu den theoretischen Grundlagen.

Die zwei wichtigsten Regeln, wenn man einen Mehrbauern hat, sind folgende:

  1. Je mehr Bauern auf dem Feld sind, umso höher ist die Gewinnchance.
  2. Die Verwertung eines Mehrbauern ist schwieriger, wenn alle Bauern auf einer Seite sind. Hat man aber drei oder mehr Bauern, ist dies möglich.

Regel zwei kam beim praktischen Beispiel (oben) nicht zum Einsatz, aber Regel 1. Schauen wir uns das konkret an:

Der Plan ist einfach: Man bildet einen Freibauern auf der Seite, wo sich der Mehrbauer befindet. Der gegnerische König wird damit abgelenkt und der eigene König kann sich um die andere Seite kümmern.

1. Kf1 Kc6
2. Ke2 Kc5
3. a3 Kd4

Der schwarze König versucht den Weißen zu behindern, aber der Plan wird nicht aufgehen.

4. Kd2 a5
5. Kc2 h5
6. h4 f6
7. Kd2 g6

Das sieht interessant aus, aber Schwarz kann nur etwas Zeit gewinnen. 

8. f4 f5
9. Kc2 Ke3
10. b4 axb4
11. axb4

Da haben wir es. Schwarz hat versucht, den Plan von Weiß zu durchkreuzen, aber es war hoffnungslos. 

Schauen wir uns ein Beispiel für Regel 2 an.

Die nachfolgende Stellung ist für Weiß klar gewonnen, aber es muss ordentlich kalkuliert werden, sonst endet es Remis.

Das Problem für Gelegenheitsspieler ist die exakte Berechnung solcher Stellungen. Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass ein Tempo über Sieg oder Remis entscheidet. Das braucht Übung und Zeit. Beides haben Gelegenheitsspieler oft nicht. Hätten Sie in einer Blitzpartie, mit vielleicht nur noch 30 Sekunden auf der Uhr, 5. b3 gefunden? Deshalb halte ich Blitz auf diesem Niveau im Endspiel für wenig hilfreich. Die bisher gemachten Erfahrungen lehren b4, also einen falschen Zug – für diese Situation. Nicht nur, aber auch deshalb sollte man regelmäßig lange Partien spielen, um die Konzentration für solche Situationen zu trainieren.

Sofern alle Bauern auf einer Seite sind, ist ein Mehrbauer häufig nicht ausreichend, um zu gewinnen. Hier eine typische Situation:

Weiß ist am Zug, kann mit 1. Tc7+ Schach geben, aber wenn Schwarz keinen Fehler macht, geht dieses Endspiel Remis aus.

Im nächsten Beispiel erleben wir wieder die Macht des freien Bauern.

Stünde der Bauer auf b4 bspw. auf e3, wäre die Stellung objektiv betrachtet Remis. Da er aber auf b4 steht, wird es für Schwarz bei perfektem Spiel unmöglich sein, dies zu verteidigen. Hier eine mögliche Fortsetzung, die Zeigt, wo die Reise hin geht: 1. b5 Tb8 2. Tc5 Kg7 3. Kf3 Kf6 4. Ke4 Ke6 5. f4 Kd7 6. Ke5 Te8+ 7. Kd4 Te6 8. Te5 Tf6 9. f5 Tb6 10. Kc5 Tb8 11. f6

Tipp: Bauen Sie diese Stellung auf und versuchen Sie sie mit Weiß gegen die KI zu Ende zu spielen.

Ein letztes Beispiel:

Welche Möglichkeiten hat Weiß, um dieses Spiel zu gewinnen? Und welchen Zug darf Weiß auf keinen Fall machen?

Lösung: 1. Tb7+ oder 1. f3 führen zum Sieg, 1. f3 ist sogar der genauere Zug. 1. b7? hingegen ist objektiv betrachtet Remis. Warum dies so ist, lässt sich einfach beantworten. Was in der o. g. Stellung Weiß am Sieg hindert, ist der Turm auf b3. Weiß hat die Möglichkeit, den Turm hier zu binden und auf der gegenüberliegenden Seite aktiv zu werden oder den Turm vom b-Bauern wegzulocken. 1. b7? nimmt beide Optionen, da es den weißen Turm bindet und damit jegliche Aktivität von Weiß zerstört wird.

Hier eine mögliche Fortsetzung, welche das Dilemma verdeutlicht: 1. b7 Tb4 2. Kf3 Tb1 3. Ke3 Tb2 4. f3 Tb3+ 5. Kd4 Tb4+ 6. Kc3 Tb6 7. Kc4 Tb1 8. Kc5 Tc1+ 9. Kb4 Tb1+ 10. Kc5 Tb2 11. Kc6 Tc2+ 12. Kd7 Tb2 13. Kc8 Tc2+

Weiß bekommt Dauerschach oder verliert den Bauern, sobald der Turm sich wegbewegt. Es ist Remis. Doch schauen wir uns die Fortsetzung mit 1. f3 an: 1. f3 Tb2+ 2. Kf1 Kg6 3. Ke1 Tb1+ 4. Kd2 Tb5 5. Kc3 Tb1 6. Kc4 Tc1+ 7. Kb5 Tb1+ 8. Ka6 Ta1+ 9. Kb7

Der weiße König schafft es auf b7 und löst somit die Verteidigung durch den Turm ab. Der schwarze Turm ist immer noch gefesselt. Auch wenn es noch einige Züge dauern kann, wird früher oder später der weiße Turm die b-Linie verlassen können. Sollte sich Schwarz dafür entscheiden die weißen Bauern auf f3 und h3 zu schlagen, ist er noch schneller verloren. Etwa in dieser Stellung:

Dann kommt es etwa zu dieser Variante: 1… Txf3 2. b7 Tb3 3. Tg8+ Kf7 4. b8=Q Txb8 5. Txb8

Wie man sehen kann, ist der Mehrbauer ein wichtiger Vorteil, da er oft das Potenzial hat, in eine Dame umgewandelt zu werden. Aber nicht alle Endspiele mit einem Mehrbauern sind automatisch gewinnbar. Ob es gewonnen werden kann, hängt vor allem von folgenden Dingen ab:

  1. Art des Endspiels
  2. Bauernstruktur
  3. Königliche Aktivität
  4. Feldkontrolle und Opposition
  5. Taktische Möglichkeiten

Wie Sie gesehen haben, hängt der Erfolg von der genauen Berechnung ab. In manchen Endspielen ist dies einfacher als in anderen, aber schon ein einziger Fehler kann alles ruinieren. Randbauern sind oft schwieriger zu gewinnen, weil sie manchmal durch den gegnerischen König leichter blockiert werden können. Wenn Sie verbundene Bauern (die auf benachbarten Linien stehen) haben, ist es oft einfacher, sie in eine Dame umzuwandeln. Doppelbauern (Bauern auf derselben Linie) sind hingegen schwächer und oft weniger wertvoll.

Der eigene König sollte aktiv sein und den Bauern unterstützen. Ein inaktiver König kann den Fortschritt der eigenen Bauern behindern und die Verteidigung des gegnerischen Königs erleichtern. Überprüfen Sie die Position des gegnerischen Königs. Wenn er weit vom Bauern entfernt ist oder der eigene König ihn blockieren kann, ist der Mehrbauer oft wertvoller.

Versuchen Sie, die Felder zu kontrollieren, die der gegnerische König benötigt, um den eigenen Bauern zu blockieren. Manchmal müssen Sie auch verhindern, dass der gegnerische König Ihren Bauer angreift oder blockiert. Die richtige Opposition (direkt, diagonal oder seitlich) des eigenen Königs kann entscheidend sein, um den eigenen Bauern durchzubringen.

Taktische Möglichkeiten wie Zugzwang und Kombinationen können eine weitere Hilfe sein, um mit einem Mehrbauern zum Sieg zu gelangen. Das Verständnis der zugrunde liegenden Konzepte wird Ihnen helfen, die Vorteile eines Mehrbauern in verschiedenen Endspielpositionen zu maximieren.